Reise nach Sohrevard – eine Geschichte in Bildern

 

Sohrevard in der nordwestiranischen Provinz Zanjan ist der Geburtsort des iranischen Sufimystikers und Philosophen Shihabuddin Yahya Suhrawardi. Im März 2019 wurde mein Traum wahr, und ich besuchte diesen Ort gemeinsam mit Daniela und Dieter, einem befreundeten Schweizer Ehepaar, das vor ein paar Jahrzehnten nach Berlevåg in Nordnorwegen ausgewandert war.

 

 

Bereits 2007, als ich mich intensiver mit dem iranischen Mystiker und Philosophen Shihabuddin Yahya Suhrawardi zu beschäftigen begann, keimte in mir der Wunsch, eines Tages dessen Geburtsort Sohrevard im Iran aufzusuchen. Anfangs konnte ich diesen Ort, der mittlerweile immerhin rund 8000 Einwohner umfasst und das Stadtrecht erlangt hat, auf keiner der mir verfügbaren offiziellen Karten finden. Ich wusste nur, er lag irgendwo südwestlich der Stadt Zanjan. Schließlich fand ich Sohrevard doch, auf einer alten Karte, und später auch via Google Maps.

Doch damals regierte Mahmoud Ahmadinejad im Dienste der Mullahs das Land. Die politische Stimmung und auch die Bedingungen für Individualreisende erschienen mir nicht unbedingt vertrauenerweckend. Also reiste ich zu Weihnachten 2007 vorerst einmal zu Suhrawardis Grabmal nach Aleppo in Syrien (siehe Reisebericht “In the Footsteps of the Shaykh al-Ishraq”).

2013 folgte dann der gemäßigtere Hassan Rouhani auf Ahmadinejad als Präsident des Iran. 2015 kam es zum Abschluss des Atomabkommens zwischen dem Iran, den USA, der EU, Russland, China. Und der Iran begann sich zunehmend auch für europäische Touristen zu öffnen. In einem ersten Schritt schloss ich mich einer Gruppe von Sufis an, die den Süden (Shiraz, Persepolis) und den mittleren Iran (Yazd, Isfahan) bereiste. Immerhin wusste ich, dass Suhrawardi in Isfahan, das im 12. Jahrhundert die bedeutendste Universitätsstadt des Landes war, bei Zahir al-Din al-Qari Logik studiert hatte.

Gemeinsam mit einer Freundin wanderte ich entlang des Zayandeh-Flusses bis zur ältesten der Brücken, die Pol-e Shahrestan, deren Grundfesten bereits in der Zeit der Sassaniden gelegt worden waren. Auch der Mystiker wird wohl das eine oder andere Mal seinen Fuß auf dieses Bauwerk gesetzt haben. Vom Zayandeh-Fluss ist übrigens aufgrund der zunehmenden Trockenheit und der Wasserentnahmen für die Landwirtschaft und die Trinkwasserversorgung in Isfahan bis auf ein paar Pfützen im Flussbett kaum noch etwas übrig geblieben.

 

Pol-e Shahrestan, Isfahan

 

Ermutigt durch die offene, freundliche Atmosphäre, mit der uns die iranische Bevölkerung auf dieser Reise empfangen hatte, plante ich zwei Jahre später gemeinsam mit zwei Freundinnen eine eigene Reise. Ich hatte damals zwei Reisepläne ausgearbeitet – einen für den Nordwesten, der auch einen Abstecher nach Sohrevard enthielt. Und einen zweiten entlang der Bahnlinie von Teheran nach Mashhad durch die Provinz Khorasan im Nordosten des Landes. Meine beiden Freundinnen plädierten für Khorasan, das im Mittelalter neben Baghdad eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des Sufismus gespielt hatte. Es sollte zwei weitere Jahre dauern, bis ich 2019 schließlich mit Daniela und Dieter, die ich auf meinen Norwegenreisen kennen- und schätzengelernt hatte, den Nordwesten ansteuerte.

 

Am Abend des 14. April 2019 ist es so weit. Wir fahren mit dem Zug von Teheran nach Zanjan. Die hügelige Landschaft ist in zauberhaftes Abendlicht getaucht.

 

Landschaft bei Zanjan, NW-Iran

 

Hotel Dadamaan in Zanjan

 

Die Obstbäume rund um Zanjan stehen bereits in voller Blüte. Untergebracht sind wir im Hotel Dadamaan, einem traditionellen persischen Herrschaftshaus mit einem erfrischenden Pool im Innenhof und nächtlichem Blick auf die Sternenpracht. Als wir den Hotelmanager um die Organisation eines Taxis nach Sohrevard bitten, reagiert er irritiert. Was wir denn dort suchen würden? “Dort gibt es nichts, absolut nichts zu sehen. Nicht einmal eine Büste von Suhrawardi, denn die ist hier in Zanjan, bei uns.” Doch wir bleiben beharrlich.

Tags darauf nach dem üppigen Frühstücksbuffet geht es los. Zunächst nach Soltaniyeh. Der Mongolensultan Muhammad Oljeitu Khudabanda hatte dort zu Beginn des 14. Jahrhunderts einen Grabbau für Imam Ali und Imam Hossein bauen lassen. Doch dann stellten sich schiitische Geistliche quer, und der frustrierte Oljeitu, der kurz zuvor vom Sunniten zum Schiiten konvertiert war, wurde wieder Sunnit und ließ sich selbst in seinem imposanten Grabmal begraben, des heute zum Weltkulturerbe zählt.

 

Oljeitu Mausoleum

 

Daniela und Ingrid im Inneren des Mausoleums, das gerade renoviert wird

 

Die riesige Kuppel dieses Grabbaus fasziniert uns ebenso wie die unerschöpfliche Vielfalt an Ornamenten und der Ausblick von der Galerie auf die Ortschaft Soltaniyeh und die Berge, hinter denen sich irgendwo der Geburtsort Suhrawardis befindet.

 

Blick von der Galerie des Mausoleums auf den Ort Soltaniyeh

 

Doch es dauert noch rund eineinhalb Stunden, bis wir das Hauptziel des heutigen Tages erreichen. Nachdem wir die Stadt Qeydar passiert haben, weiß unser Fahrer, der nur Farsi spricht, nicht mehr weiter und fragt hier und da nach dem Weg, absolviert die eine oder andere Irrfahrt, bis uns schließlich zwei Mopedfahrer ins Schlepptau nehmen und uns die richtige Abzweigung zeigen.

 

Unsere beiden Wegweiser auf ihrem Moped

 

Fruchtbare Felder säumen die Straße

 

Schließlich erblicken wir Sohrevard vor uns

 

Ich hatte erwartet, dass wir dort aussteigen und ein bis zwei Stunden durch den Ort spazieren würden. Insgeheim hatte ich auch gehofft, auf dem nahegelegenen Hügel einen geeigneten Meditationsplatz zu finden und dort die Stille und die Einstimmung auf den Sufimeister genießen zu können. Doch es kommt ganz anders. Bei der Einfahrt in den Ort erkundigt sich unser Fahrer ein weiteres Mal.

 

Sohrevard, Einfahrt in den Ort

 

Dann steuert er zielgerichtet ein Haus an, das sich später als lokales Kreativzentrum für Kinder und Erwachsene herausstellt. Dort werden wir von einer schwarzgekleideten Dame empfangen, die uns in Zeichensprache zu verstehen gibt, dass wir hier warten sollen. Wir haben keine Ahnung, wo wir uns befinden und worauf wir warten sollen. Bis schließlich der eilig herbeigerufene Englischlehrer des Orts, Mahmood Mohammadi, erscheint. Und wir erfahren, dass wir uns an jenem Ort befinden, an dem einst Suhrawardis Geburtshaus stand. Sogar einige Steine der alten Mauer sind noch zu sehen.

 

Hier stand Suhrawardis Geburtshaus

 

Es beherbergt heute ein Kreativitätszentrum für Kinder und Erwachsene

 

Sogar Reste des alten Gemäuers sind noch zu sehen

 

Gasse vor Suhrawardis Geburtshaus

 

Nach einem herzlichen Willkommensgruß führt uns Mahmood zunächst zu den Quellen des Dorfes, die immens wichtig für die Versorgung mit Trinkwasser und die Bewässerung der Gärten und Felder sind. Erst unlängst, erzählt Mohammadi, sei der Damm des kleinen Stausees bei einem Unwetter gebrochen. Das Wasser kommt hier nicht nur aus dem Bach. Auch aus dem Untergrund des kleinen Stausees sprudeln kleine Quellen hervor.

 

Becken für die Wasserversorgung

 

Der Damm des kleinen Stausees ist gebrochen

 

Mahmood zeigt uns den Stausee

 

Das Wasser sprudelt hier auch aus dem Untergrund

 

Mindestens ebenso stolz wie auf die Quellen zeigt sich Mahmoud auf die Gärten von Sohrevard. Hier habe Suhrawardi wohl seinerzeit die ersten Inspirationen für seine Philosophie gewonnen, mutmaßt er. Mahmood selbst ist kein Sufi, aber trotzdem stolz auf den berühmten Philosophen und Sufimeister, der seine Herkunft aus Sohrevard auch im Namen trägt. Sie seien hier alle türkischstämmig und würden auch einen türkischen Dialekt sprechen, erklärt er. Und sie sind alle gläubige Moslems. Das ist gar nicht so selbstverständlich. Denn an vielen anderen Orten im Iran sind die Menschen oft vom Zwang der staatlich aufoktroyierten Religion frustriert. Und viele, vor allem junge Menschen, träumen vom Auswandern. Denn die Wirtschaft im Land liegt dank der jüngsten US-Sanktionen darnieder, die Währung verliert ständig an Wert, und gute Jobs sind kaum zu bekommen.

Doch hier in Sohrevard scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Die ländliche Gemeinschaft scheint intakt. Das Land ist hier trotz einer Seehöhe von rund 1800 Metern fruchtbar. Die Menschen halten Rinder, Ziegen, Schafe und Hühner. Der eine oder andere Bauer reitet auch gern auf einem Esel durchs Dorf. In den Gärten unterhalb des Dorfes stehen imposante Nussbäume. Auch Obst wird hier angebaut. Die Äpfel aus dieser Gegend, sagt Mahmood, seien besonders saftig und begehrt.

Wir erfahren, dass die meisten iranischen Ortschaften – jedenfalls auf dem Land – über derartige Gärten verfügen. So gut wie jede Familie verfügt hier über eine eigene Parzelle. In der warmen Jahreszeit werden hier gerne Picknicks abgehalten.

Auch wir werden zu so einem Picknick eingeladen. Um den Genuss perfekt zu machen, holen unsere Begleiter aus dem Fischbecken bei den Quellen noch ein paar Fische heraus.

 

Fischbecken

 

Unser Abendessen wird herausgefischt

 

Doch bis wir endlich zu den Gärten gelangen, dauert es noch etwas. Zunächst zeigt uns Mahmoud die väterliche Schneiderei. Auch er hat hier gelernt und näht sich seine Hemden bis heute selbst, sagt er stolz. Nächste Station ist seine Sprachschule, die er privat führt, neben seinem Engagement als Englischlehrer in der öffentlichen Schule.

 

Die Schneiderei von Mahmoods Vater

Mahmood zeigt uns seine Sprachschule

 

Anschließend geht es weiter zum Stadtzentrum, wo sich neben einer imposanten Obstschale als Wahrzeichen auch eine Statue von Shihabuddin Yahya Suhrawardi befindet.

 

Marktplatz mit dem Wahrzeichen, der Obstschale

 

Suhrawardi ist hier ein eigenes Denkmal gewidmet

 

Suhrawardi in Nahaufnahme

 

Mittlerweile ist es Nachmittag. Und wie in dieser Gegend üblich, werden wir ins Haus von Mahmood's Onkel Ali Bahrammi gebeten, damit wir uns ein wenig ausruhen können. Ali und Mahmood betreiben hier gemeinsam ein kleines Gästehaus, in dem all jene willkommen sind, die sich wie wir für den großen Philosophen interessieren (Kontakt: m.eshragh71@gmail.com). Wir erhalten hier auch eine köstliche Jause mit selbstgemachtem Käse und Brotfladen, Honig und frischen Kräutern.

 

Jause bei Onkel Ali Bahrammi

 

Endlich ist es so weit. Die Fische sind ausgenommen und die Picknickkörbe vorbereitet. Im Licht der späten Nachmittagssonne wandern wir auf einem schmalen Karrenweg durch die Gärten, bis wir schließlich die richtige Parzelle erreichen.

 

Unterwegs in die Gärten zum Picknick

 

Onkel Ali ist der ”Grillmeister”. Nachdem er das Feuer entfacht hat, wird zunächst der Kessel auf die Flammen gesetzt. Das sei echter, schmackhafter Feuertee, lernen wir. Während ein Teil der Kinder sich mit Schaukeln vergnügt, zeigt Ali seinem Jüngsten, wie die Fische richtig aufgespießt werden müssen. Schließlich brutzelt das Grillgut auf dem Rost, und das Mahl kann beginnen.

Auch Alis Frau ist beim Grillen dabei. Doch sie will auf keinem der veröffentlichten Fotos abgebildet sein, was wir natürlich respektieren. Ich schenke ihr meine Gebetskette aus Achat und Silber, die ich im Istanbuler Basar erstanden hatte. Sie scheint sich darüber zu freuen.

 

Ali zeigt seinem Jüngsten, wie's geht

 

Mahmoods Tochter mit Ali beim Schaukeln

 

Noch ein kurzes Gruppenfoto vor dem Servieren: v.l.n.r. Mahmood mit seiner Tochter und Alis Sohn, unser Fahrer, Dieter, Daniela, Ingrid und im Hintergrund Ali am Lagerfeuer

 

Und hier ist es, das fertige Essen samt echtem Feuertee

 

Schließlich fahren wir noch zum Aussichtspunkt auf der gegenüberliegenden Seite des Tals. Hier befindet sich eine kleine Grabstätte mit einem Nachkommen Husseins. Langsam sinkt die Dämmerung auf die Landschaft, und wir verabschieden uns von unseren neuen Freunden.

 

Das Mausoleum mit dem Nachkommen Husseins

 

Die Kinder interessieren sich mehr fürs Balancieren auf den Mauerstufen

 

Ein letzter Blick auf Sohrevard im Abendlicht

 

Vertreibe leere Melancholie aus deinem Kopf

verringere deinen Stolz

und vermehre deine Bedürftigkeit.

Deine Meisterin ist die Liebe:

Wenn du sie erreichst

sagt sie dir

mit der Zunge der Ekstase

was zu tun ist.

Shihabuddin Yahya Suhrawardi, “On the Reality of Love”