Auf den Spuren von Elfen und Wiedergängern

 

2005 war ich vier Wochen lang mit Rucksack und Zelt auf Hornstrandir in NW-Island unterwegs. Die letzten Siedler verließen diese Gegend wegen der rauen Bedingungen Anfang bis Mitte des vorigen Jahrhunderts. Seither gibt es dort nur noch einige Sommerhäuser, die in der Regel von Nachfahren der früheren Siedler bewohnt werden. Infrastruktur gibt es dort kaum, allerdings kann man sich vorgepackte Fresspakete mit dem Boot zu festgelegten Zeiten in die eine oder andere Bucht bringen lassen. Zumindest war das so, als ich 2005 das erstemal dort war. Sechs Jahre später war ich noch einmal auf Hornstrandir, gemeinsam mit meinem Sohn. Und da waren bereits wesentlich mehr Wanderer unterwegs. Bei Hesteyri gab es nun einen großen Campingplatz, der von einem Ranger betreut wurde, desgleichen in der Hornvík. Und ich bin sicher, dass die Entwicklung seither nicht stehengeblieben ist.

Für mich hatte die Wanderung damals eine besondere Bedeutung, weil es die allererste Tour mit Rucksack und Zelt in der Wildnis war. Damals habe ich entdeckt, wieviel mir diese enge Verbundenheit mit der Natur und das Abenteuer, sich in der Wildnis seine eigenen Wege suchen zu müssen, bedeutet.

Der Text ist von 2005, die Fotos jedoch sind von 2011 (teils hatte ich selbst fotografiert, teils mein Sohn Albert).

 

 

Mittwoch, 29. 6. 05

Ísafjörður.

 

29 kg Gepäck (ohne handluggage)

für 4 kg muss ich á E 4,50 Gepäckszuschlag zahlen (der Flieger war dann halbleer)

wie schön > kann ich Bücher einkaufen

Den Ratschlag der Dame am Flugschalter, halt die Schachteln zu Hause zu lassen, hab ich nicht angenommen. „Was?“ sagte sie, „vier Wochen wandern? Das klingt ja furchtbar stressig.“

Naja, jedem das Seine...

Isl Kr 1150,- für den Flughafenbus, der diesmal einen Anschluss vom BSI zum Regionalflughafen hatte.

In Reykjavík Spaziergang am Strand. Erinnerungen an Kelly und unsere Radfahrten hier. Auch an Walter. Die Strandhäuser sind vertraut.

Dann zum Wasser hinunter – ich mache meine Übungen, und es ist so schön, dabei den Wind auf der Haut zu spüren, die Sonne, Vogelzwitschern, den Geruch von Seetang...

1 Gratistelefonat vom Kiosk in Ísafjörður zum Office von Vesturferðir.

Isl Kr 500,- für den Flughafenbus

Guðmundur wartet tatsächlich im Büro von Vesturferðir auf mich, trotz zwischenzeitlichem Büroschluss. Er ist erstaunlich jung für einen „Direktor“ (auf diesen Titel ist er offenbar stolz), ein bissel umständlich, aber sehr zuvorkommend. Er sei erst vor kurzem von Reykjavík hier heraufgekommen, erzählt er. Und er kennt hier selber noch nicht so viel.

Penibel trägt er in die Tickets ein, dass ich vorhabe, 4 Wochen im Naturpark zu wandern. Dann will er mir sogar aufs Ticket schreiben, dass ich bei der Rückfahrt wahrscheinlich warten muss, weil sie da wegen einer Kreuzfahrt in den Jökulfjorden bis zu 4 Stunden Verspätung haben können (das Boot kann also zwischen 10Uhr30 = normal und ca. 14Uhr daherkommen).

Er bietet mir noch an, dass ich bis morgen was im Office lassen könne, was ich idiotischerweise ablehne. Schließlich stapfe ich los Richtung Campingplatz.

Plötzlich bleibt ein Auto neben mir stehen. Es ist wieder Guðmundur. Er kann mich zum Campingplatz bringen, sagt er. Und vor lauter Rührung vergesse ich sogar zu protestieren, als er mich zum Campingplatz im Tungudal bringt (das ist der schönere, aber auch der wesentlich weiter vom Zentrum entfernte der beiden Campingplätze).

Nun sitze ich also hier im Zelt und muss für morgen früh 1 – 1 ½ Stunden Fußhatscher einplanen – samt jenem Paket, das ich blöderweise nicht im Office gelassen habe.

Campingplatz: Isl Kr 800,- inkl Dusche

 

 

Donnerstag, 30. 6. 05

Hrafnsfjörður.

 

Nun ist es also bereits 21Uhr30. Es ist unglaublich, wie lange hier die einfachsten Tätigkeiten dauern – kochen, essen, abwaschen, Zähne putzen, fürs Schlafen herrichten...

Gekocht hab ich mit fast verschlossenem Zelt, weil es ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt geregnet und geblasen hat, als ob es nie mehr aufhören würde. Mittlerweile ist der Himmel über dem Gýgjasporshamar bereits wieder streckenweise blau.

Gestern abend also sagte Guðmundur, dass der Wetterbericht Schönwetter fürs Wochenende angesagt hat. Und dann begann es in der Nacht zu regnen, und ich musste das Zelt nass abbauen, um rechtzeitig zur Tankstelle (wegen der Gaskartuschen > Isl Kr 2220,-) und zum Boot zu kommen.

Der Hatscher mit dem Rucksack am Buckel und dem Fresspaket in der Hand hatte es in sich. Allerdings war die Stimmung wunderschön – eine Ahnung von Sonne durch die Wolken, mit schönen Spiegelreflexen am Wasser. Plus ganz zartem Nebel am Fuß der Berge.

Bei Sjóferðir reagierten sie gleich: „Ach, Sie sind die Frau, die vier Wochen ins Naturreservat fährt.“ Ganz alltäglich scheint das also doch nicht zu sein. Naja, vielleicht hilft's, dass sie meine Fresspakete auch wirklich richtig deponieren (in Hornvík bei der Nothütte und in Hesteyri).

Die Bootsfahrt war spannend. Aber die meisten Buchten, Häuser, Berge etc. habe ich aufgrund der Beschreibungen erkannt. Wir fuhren vorher nach Hesteyri. Auf der Weiterfahrt in den Hrafnsfjörður war ich dann der einzige Fahrgast.

Ich hab mein Zelt im Inneren der Bucht aufgestellt, am Fuß des Gýgjasporshamar und am Ufer der Skorará, die ich heute bereits 3x gefurtet habe – um nachher zu lesen, dass sie ein Gletscherfluss ist. Kalt war sie ja. Ich hoffe nur, dass meine Watschuhe die Strapazen aushalten. Denn ohne Watschuhe wäre ich aufgeschmissen.

Ich bin dann noch am Fjordufer entlang marschiert (deshalb 3x furten). Die Nothütte hier ist sehr bedient. Das Holz teilweise zerfressen. Innen drinnen ein paar alte Instantsuppen (das ist die ganze Notverpflegung), 2 vergammelte Steppdecken, eine Art Spiritusofen und ein riesiges Notfunkgerät, das wie ein überdimensioniertes altes Radio ausschaut.

Ich bin dann weiter zu Skipeyri, einer Sandbank, die ein gutes Stück in den Fjord hineinreicht, und bis nach Hrafnsfjarðareyri. Dort wäre tatsächlich ein schöner Zeltplatz. An dieser Stelle sieht man bereits aufs offene Meer hinaus und überblickt den Hrafnsfjörður sozusagen nach beiden Seiten. Von der (laut Guide) lange scheinenden Abendsonne hab ich allerdings nur einen Hauch von Gelb am bewölkten Himmel gesehen. Dafür war die Fauna umso üppiger: Seehunde und jede Menge Vögel – hauptsächlich Enten, aber auch Schwäne und viele Kleine, z.b. Austernfischer. Den beiden Robben bin ich bis auf 50m nahe gekommen.

Leider hab ich den Gucker beim Zelt gelassen. Aber wie mir das mit dem Gucker eingefallen ist, hab ich grad den Gletscherfluss gefurtet gehabt. Und da wollte ich nicht mehr zurück.

Bei Hrafnsfjarðareyri war dann das Kreuz des Fjalla-Eyvindur, der diversen Leuten schon erschienen sein soll. Ich hab dort meine Übungen gemacht. Aber ganz entspannt war ich dabei nicht mit dem Kreuz im Rücken und all den Spukgeschichten im Kopf (aber dort soll's ja – im Gegensatz zu Álfstaðir auf der anderen Fjordseite – wenigstens nicht unangenehm spuken).

Jedenfalls hat es gut getan, dann wieder „heim“ zum Zelt zu kommen. Hoffentlich werde ich nicht verkühlt, weil sich meine Nase verlegt hat. Und Schädelweh hab ich auch.

Der Gýgjasporshamar, lese ich gerade, ist der Kern eines alten Vulkans, der bis hinüber zum Einbúi (Lónafjörður) gereicht hat. Angeblich die größte Elfensiedlung Islands.

 

Gýgjasporshamar

 

 

Freitag, 1. 7. 05

Bolungarvík.

 

Die Zeit verrinnt wie im Flug. Jetzt hab ich noch ein paar GPS-Berechnungen gemacht, um die Abweichungen meiner zu Hause eruierten Punkte zu systematisieren. Hab jetzt überall bei Nord +100 und bei WO -150 eingegeben. Bin neugierig, ob das funktioniert.

Das Wetter war heute ziemlich wechselhaft. In der Früh strahlender Sonnenschein und eine wunderbare Lichtstimmung über dem Hrafnsfjörður.

Kurze Unterbrechung: Ich musste das Zelt besser verspannen, weil es jetzt regnet und das Innenzelt an einer Stelle am Außenzelt klebt.

Ein herrlicher Morgen also, und ein bedächtiges In-den-Tag-Gehen > sorgfältige Katzenwäsche, Frühstück, Einpacken... Irgendwie geraten hier alle Tätigkeiten zu einer Art Meditation. Ich tu's gern und genieße all die Dinge und Vorbereitungen, die ich mir während der einjährigen Vorbereitungszeit hergerichtet hab.

Dann bei herrlichem Sonnenschein der Aufstieg. Und als ich fast oben bin, wallt der Nebel über die Scharte der Bolungarvíkurheiði. Glücklicherweise ist der Weg hinunter in die Bolungarvík wesentlich besser und vor allem dichter markiert als im Álfdalur (Aufstieg). Trotzdem ist mir mulmig zumute gewesen. Denn in dieser Waschküche musste ich manchmal von einem Pfahl oder Steinmann weggehen, ohne den nächsten sehen zu können. Ich hab halt das GPS-Gerät auf track-record eingestellt, um gegebenenfalls zurückfinden zu können. Meine ungenauen GPS-Eingaben hätten mir aber immerhin ungefähr die Richtung angeben können.

Irgendwie war es ja spannend, das Hinuntergehen. Du schaust und schaust, rundum nur Nebelsuppe, und dann plötzlich ist der Stüpfel da, oder der Steinmann. Und die Zukunft ist gerettet, zumindest bis zum nächsten Stüpfel.

Und wie ich dann fast unten war, war auch der Nebel weg. Sogar die Sonne schien, und ich hatte einen weiten Blick übers Tal – rechts der Bucht das Gästehaus, links mein anvisierter Zeltplatz (Hof Bolungavíkursel, oder eigentlich Ruine).

Und wie ich auf den Zeltplatz zumarschiere, denk ich mir, hoffentlich gibt's dort auch frisches Wasser. Um ganz sicher welches zu haben, fülle ich mir den ganzen Wassersack an und schleppe ihn gut 1 km bis zum Zeltplatz. Was Blöderes hätte mir nicht einfallen können. Denn erstens waren diese 4 kg plus genau das, was meine Kapazität definitiv überschritten hat. Ich wäre fast eingegangen unter dem Gewicht. Zweitens hab ich dann noch einige Bäche überquert und bereits von der Ferne gesehen, dass ein kleiner Wasserfall zu meinem Zeltplatz führt. Aber denkst du, ich hätte den Wassersack ausgeleert? Nein, weitergeschleppt hab ich ihn – aus Trägheit, und weil ich ihn ja schon so weit geschleppt hab, und weil sich ja vielleicht doch herausstellen könnte, dass ich ihn brauche...

Dafür war die Ankunft in der Bucht umso schöner. Hier ist das Meer offen und viel wilder, mit richtiger Brandung und jeder Menge Treibholz. Dafür gibt es nicht ganz so viele Viecher wie drüben. Zumindest hab ich nicht so viele gesehen – einmal abgesehen von den Kolonnen von Weberknechten, Spinnen, Mücken, Schnecken etc., die mich in meinem Zelt heimsuchen.

Bin dann lange am Strand entlang gewandert. Den Elementeatem am Strand zu machen ist schon was Besonderes. Feueratem – Gýgjasporshamar. Der alte Berg, der fast unscheinbar neben den anderen steht und doch viel schöner ist. Der die ganze Gegend hier mit seinem Feuer geschaffen hat. Ich mag ihn.

Ansonsten mach ich viel weniger Übungen, als ich mir vorgenommen hatte. In der Früh ist keine Zeit, da will ich weg. Am Abend bin ich zu müde. Allerdings hab ich beim Gehen immer wieder Wazaif vor mir hergesagt.

Und überhaupt bin ich so glücklich hier.

 

Bolungarvík

 

 

Samstag, 2. 7. 05

Smiðjuvík oder Felsenbucht.

 

Neben dem Zelt plätschert ein Bach, vom Strand unten hört man das Tosen der Brandung. Wasser einmal lieblich, einmal schwer und mächtig. Bei Flut knallte es manchmal richtig, wenn die Brandung die Steine hinauf gischtete und dort ein Überhang war.

Im Moment ist der Himmel fast klar, beim Abendspaziergang vorhin hab ich einen Regenbogen gesehen – Bifröst, die Brücke in den Himmel.

Auch ein kleiner Fuchs ist hier in der Bucht – nicht besonders scheu und ein exzellenter Kletterer. Dort möchte ich nicht rauf, wo der zwischen den Schrofen herumgetänzelt ist. Eigentlich sind die Füchse hier sehr klein (einen zweiten hab ich auf den Göngumannaskörð gesehen), dunkelbraun, mit kurzer Nase und hellen Haaren auf dem Schwanz und den Ohren.

Außerdem gibt es hier jede Menge Enten, auch sehr schöne schwarz-weiße (Eider-Erpel, wie sich später herausstellte). Und im Grasland tummeln sich jede Menge Singvögel. Auf den Felsen hier in der Bucht nisten auch einige Möwen.

Während meines Abendspaziergangs sind 5 Wanderer hier angekommen, aus der Gegenrichtung. Sie müssen mich gesehen haben, aber nachdem sie keine Anstalten eines Grußes o.ä. gemacht haben, hab ich mir gedacht, die wollen für sich sein, und bin auch nicht zu ihnen hingegangen. Sie zelten jedenfalls so weit weg, dass man sich gegenseitig kaum bemerkt.

Meine Ankunft in der Bucht war ja bereits um 15Uhr unter etwas dramatischen Umständen. Auf dem Weg vom Barð herunter in die Smiðjuvík begann es nämlich – nach strahlendem Sonnenschein – plötzlich heftig zu regnen. Das hörte zwar vorübergehend auf. Aber als ich mein Zelt aufstellte, prasselte es nochmals so richtig runter, sodass ich den Rucksack einfach unausgepackt ins Zelt schmiss, mich dazu und das Vorzelt schloss.

Hab dann herinnen sitzend alles ausgepackt, was etwas mühsam ist. Und weils weiter regnete und ich saumüde war, hab ich mich einfach in den Schlafsack verkrochen und 2 Stunden geschlafen. Hat gut getan.

Die Tour selbst war herrlich – wie gesagt, strahlender Sonnenschein. Der Weg über die Göngumannaskörð und auch über den Barð war sichtbar und gut markiert. Ich war neugierig, weil der Aufstieg von der Barðsvík zu den Göngumannaskörð (für mich Abstieg) als sehr steil beschrieben wurde. Er war steil, aber nicht wirklich ausgesetzt. Die Tour auf den Brunnkogel am Traunsee letztes Wochenende war deutlich steiler und ausgesetzter. Auch die Tour im Lokinhamrardal, die für mich eine Art Referenztour ist, war bedeutend steiler. Allerdings ist das Ganze mit dem schweren Rucksack natürlich mühsamer.

Die Furt über den Barðsvíkurós war leicht zu finden, nicht nur wegen der Markierung. Im Grunde alles nur Bäche. Die Skorará war da bis jetzt noch die anspruchvollste Furt. Dabei hab ich mir vorgestellt, die Flüsse sind hier so wie jene in Norwegen auf der Finnmarksvidda, wo ich aufpassen musste, dass mir die Unterhose nicht nass wurde. Aber vielleicht können die Flüsse hier bei heftigen Regengüssen oder Schneeschmelze auch ganz anders sein.

Zum Lesen komme ich hier kaum. Jetzt ist es schon 11Uhr abends (aber ich hab ja 2 Stunden vorgeschlafen). Ein bissel werde ich also doch noch lesen.

 

Furt über den Barðsvíkurós

 

 

Sonntag, 3. 7. 05

Látravík/Hornbjargsvíti.

 

Zu allererst muss ich mir notieren, was mir dieser Reiseleiter gesagt hat:

  • Fljótavatn: Der Weg rechts vom Fljótavatn ist sehr nass und empfiehlt sich nicht > lieber den Weg über die Breiðuskörð und die Furt bei Atlastaðir (aber das ist steil > eher nicht mit schwerem Rucksack).

  • Der Weg über die Tunguheiði ist schwer zu finden ohne GPS, vor allem bei schlechter Sicht.

  • Der Lónafjörður sollte kein Problem sein bei Ebbe.

  • Der Weg über den Mánafjall ist großteils ein ausgetretener Pfad, den man aber natürlich verlieren kann. Allerdings kommt man bei diesem Weg praktisch mit 2 Kompasseinstellungen aus (s. Gísli Hj.!)

  • Snókur + Þrengsli > schwer zu finden

  • Leirufjörður > eher nicht auf dem auf der Karte eingezeichneten Weg durchs Meer gehen. Aber sie sind das schon mit Kindern gegangen. Der 1. Fluss auf Kjós-Seite ist überbrückt. Hauptfluss ist der 1. auf der anderen Seite > dort möglichst bei Ebbe (zumindest nicht Hochflut) in Fjara gehen > also schon im Meeresgrund, aber dicht beim Ufer >> man sieht die Wegspuren dort genau hinführen.

  • Der Weg von Skorarheiði zur Svartaskarð ist an sich leicht zu finden, weil man immer auf derselben Höhe bleiben muss.

  • Fossadalsheiði kein Problem.

  • Gletscher auch nicht > z.b. 1 Weg über Miðmundahorn, retour über Jökulbunga (ist auch leicht zu finden).

  • Den Weg Meyjardalur > Skjaldfannadalur kennt er net und empfiehlt er auch net > das sei ein alter Weg über den Gletscher, vermutlich schwer zu finden.

  • Der Weg über die Ófeigsfjarðarheiði sollte markiert sein, den kennt er aber auch net.

  • ad GPS: die 2000er Islandkarte sollte WGS 84 sein, nur die alten Islandkarten sind Hjorsey 19.. Was meine US-Navy-Karten sind, weiß er net.

 

Also: Start bei herrlichstem Sonnenschein, klarer Himmel weit und breit, traumhafte Landschaft. Die Gegend um den Snókur lacht mich so an, dass ich mit dem Gedanken spiele, die Snókur-Tour zu machen. Doch als ich mich der Drífandisá nähere, verhüllt sich die Landschaft inkl. Snókur binnen ¼ Stunde in Nebel. Nur der tiefer liegende Küstenstreifen bleibt frei.

Ich zweifle bereits an meinem Snókur-Plan, immerhin ist der Weg dort nicht markiert. Großartige Landschaft dann entlang den Vogelklippen Richtung Bjarnarnes/Hrollaugsvík. Die Möwen ziehen ihre ruhigen Kreise in der Luft, so sie nicht gerade nisten. Ich bewundere ihr elegantes Gleiten, das ich in dieser Form noch bei keinem anderen Vogel gesehen habe.

Dann die letzte Etappe über den Axarfjall Richtung Látravík. Plötzlich sinkt der Nebel tiefer, wird ziemlich dicht. Und ich gehe doch tatsächlich auf diesem mickrigen Axarfjall im Nebel im Kreis! Bei einem kurzen Aufreißen hab ich nämlich die Küstenlandschaft links vor mir gesehen, die ich eigentlich rechts hinter mir wähnte.

Und da ich mich wirklich nicht mehr auskannte, hab ich einfach das GPS auf Track Richtung Látravík gestellt, in der Hoffnung, dass das trotz der ungenauen Angaben funktionieren würde. Als backup im Hinterkopf > falls mich das GPS zur Steilseite des Axarfjall führt, die Richtung Meer abfällt, werde ich das a) rechtzeitig merken und b) eine Orientierungshilfe haben. Plus: wenn ich merke, dass das nicht funktioniert, warte ich einfach auf bessere Sicht und schlage notfalls irgendwo auf der Halde an einer einigermaßen ebenen Stelle das Zelt auf (da hätte ich lange warten können, wie sich später zeigte).

Aber es hat funktioniert. Das GPS hat mich zwar nicht exakt auf den richtigen Weg, aber immerhin in die Látravík navigiert, bis ich den nebelfreien Küstenstreifen erreichte.

Und natürlich der Gedanke: Wenn dir der kleine Axarfjall schon solche Probleme bereiten kann, ist äußerste Vorsicht bei allen übrigen Routen geboten. Also nix Snókur und so...

Und von wegen Einsamkeit:

Unterwegs ist mir heute ein Pärchen begegnet. Aber wie bei der Gruppe auf meinem Zeltplatz in der Smiðjuvík hatte ich das Gefühl, die wollen keinen Kontakt. Wie anders war das doch bei der Radtour! Da hat praktisch jeder Radfahrer mit den anderen gequatscht und Erfahrungen ausgetauscht. Und hier eher das Gefühl, jeder „andere“ stört die Einsamkeit.

Nur hier, in Látravík, ist das nicht so. Hier hat ein isländisches Ehepaar aus Mosfellsbæ den alten Leuchtturm (aufgelassen 1995, ist seither automatisch) wiederbelebt, verbringt selbst den Sommer hier, bessert das Haus und diverse Dinge wie die Leiter zum Strand hinunter aus, beherbergt Leute im Haus und bietet einen Campingplatz an. Die 2 sind wirklich nett und haben mir sogar 2 Palatschinken angeboten, die ich heißhungrig verschlungen habe. Denn bei der Anstrengung hier ist meine Nahrung ehrlich gesagt etwas knapp bemessen. Abgesehen davon, dass sie bis auf die köstlichen Mandel-Feigen-Müsliriegel (von denen es leider zuwenige gibt) von endenwollender Köstlichkeit ist.

Auch die Wege ringsum hat dieses Ehepaar markiert – wie gut, werde ich morgen merken.

Da nimmt man schon in Kauf, dass man für einen Zeltplatz 700 Kronen die Nacht zahlt und dafür Clo und Küche (Dusche kostet extra) sowie einen permanent brummenden Generator geboten bekommt.

Hier hab ich dann auch diese Reisegruppe von 23 Leuten getroffen (zusätzlich stehen ein paar Zelte da). Die Tipps des Reiseleiters stehen vorn. Außerdem ist da auch ein Düsseldorfer dabei, der eine Zeitlang in Island gelebt und hier bei der deutsch-isländischen Handelskammer gearbeitet hat. Den hab ich gleich über die isländische Wirtschaft befragt.

Die sind hier also alle wirklich nett. Und dazwischen fand noch mein Abendspaziergang statt, entlang der Küste mit all ihren Basaltformationen, die bizarr aus dem Meer aufragen. Vor allem Blakkibás ist beeindruckend, jene Felsgrotte, in der die Brandung schwer dröhnend die Felsen hinaufschlägt, und wo im Winter bei schwerer See die Luft zittern soll bei diesem Dröhnen.

Natürlich hab ich auch versucht, den Steilhang zur Küste hinunterzugehen, um mir die Fjalar aus der Nähe anzuschauen. Aber abgesehen davon, dass mich dabei eine Möwe mit immer neuen Drohangriffsflügen attackiert hat, hab ich mich beim unteren Stück einfach zu sehr gefürchtet und hab wieder umgedreht – klopfenden Herzens. Hab dann nachgelesen, dass auch Gśli Hj. beim untersten Stück ein Seil zu Hilfe genommen hat.

Und nun liege ich also hier im Zelt. Draußen regnet es, es ist kalt und ich friere, obwohl ich bereits so ziemlich alle Schichten übergeworfen habe. Hat es mir doch nicht gut getan, den Abend in der warmen Stube zu verbringen? Und wie soll das werden, wenn's noch kälter wird?

Dieses unbändige Glücksgefühl, das mich untertags immer wieder befällt, ist nächtens im kalten Zelt jedenfalls deutlich kleiner. Vor allem die Idee, nochmals zum Pinkeln hinaus zu müssen, freut mich nicht wirklich.

 

Wasserfall Drífandi

 

Der alte Leuchtturm in der Látravík

 

 

Montag, 4. 7. 05

Hornbjarg.

 

Demut.

Demut vor der Natur.

Demut, das Leben zu nehmen, das dir gegeben ist.

Und wenn's sein muss, loszulassen.

 

Das war, glaube ich, heute meine Lektion.

Ein anstrengender Tag.

 

Die Nacht davor war überraschend warm – allerdings hatte ich auch so ziemlich alle Schichten an, die ich bei mir habe, inklusive Daunengilet.

4 Grad hatte es untertags. Wieviel Grad es in der Nacht hatte, entzieht sich meiner Kenntnis. Frost gab's keinen. Aber die Heilsalbe hab ich kaum aus der Tube gekriegt, so steif war sie.

Dann also der Start in den Tag. Bin um 8Uhr hier aufgebrochen Richtung Hornbjarg. Regen, sagte der Wetterbericht. Und heftiger Wind, der sich gegen Nachmittag legen sollte.

Als ich auf die Bergkante zuging, waren die Böen so heftig, dass sie mich ein paar Schritte weit vertrugen. Ich hielt einen Respektabstand von der Kante.

Unterbrechung – während ich hier schreibe, kommt die Wirtsfrau und schreibt mir ihren Namen und den ihres Mannes auf meinen Schreibblock: Una Lilja und Ævar.

Schließlich eine Weggabelung – ein Weg führt nach halblinks, einer ganz scharf nach rechts, so als ob es nur ein Abstecher in Richtung Klippenrand wäre. Gesehen hat man ja nur max. 10m wegen des dichten Nebels. Ich gehe also halblinks weiter, abwärts. Und als es immer weiter abwärts geht, denke ich mir schon, dass das der Weg hinunter in die Hornvík durchs Innstidalur ist. Tatsächlich ist der Nebel weiter unten lichter geworden, und ich hab das Meer gesehen. Na gut, denk ich mir, geh ich eben am Strand entlang nach hinten und dann über den Klippenrand zurück.

Als ich den Hof Horn passierte, war mir klar, warum es in der Beschreibung geheißen hatte, dass es hier früher dicht besiedelt war > eine Hausruine befand sich neben der anderen – man erkennt die sofort, weil das jeweils kleine Wülste oder Hügel sind, die über und über mit Hvönn (einer Art Schierlinggewächs) überwuchert sind.

Ganz hinten, dort, wo die Hornbjargsklippe sich ins Meer vorschiebt und der Weg ansteigt, begegnete mir ein Fuchs (insgesamt sah ich heute 3; mir ist klar, warum Guðmundur von Vesturferðir überlegt, Fuchssafaris anzubieten). Dieser Fuchs kam so geschwind direkt auf mich zugelaufen, dass ich schon überlegt, ob der nicht Tollwut hat. In Wirklichkeit dürfte der aber nur regelmäßig von den Touristen gefüttert worden sein, denn bei mir angekommen, schlich er in ca 2 – 3m Abstand um mich herum. Er posierte auch fürs Foto (die Fuchsfotos im Internet waren also nicht mit Zoom aufgenommen). Meinen Müsliriegel verschmähte er allerdings. Oder vielmehr ignorierte er ihn, sodass ich ihn dank meiner Futterknappheit wieder an mich nahm.

Dann begann der unangenehme Teil der Tour. Als ich zu den Klippen aufstieg, schloss sich sofort wieder der Nebel um mich. Auf der einen Seite die Klippe, auf der anderen Seite eine sehr steile, nasse Wiese (es regnete). Und ich auf einem schmalen Pfad, der wie die Klippe selbst steil nach oben führte. Schließlich geht's hier bis auf 540m rauf, wenn ich mich richtig erinnere.

Es wurde immer steiler, nasse Erde, nasses Gras, schließlich waren nicht nur links Felsen, sondern auch rechts. Ein Ausrutscher, und ich wäre vermutlich tot gewesen. Und überall dichter Nebel, sodass man keine Ahnung hatte, wo man sich wirklich befand.

Der Weg führte nun über einen schmalen Grat, rechts Felsabhang, links Felsabhang. Und ich hoffte inständig, dass der Wind nicht noch stärker würde.

Ich fürchtete mich. Und eigentlich wollte ich umdrehen. Schließlich führte der Weg auch nicht mehr weiter – es war sozusagen eine Art Gipfel erreicht (Miðfell, Anm.). Aber als ich zurückging, merkte ich, dass das ein anderer Weg war.

Irgendwie war der Weg doch weitergegangen. Na gut, dachte ich mir, geh ich halt den Klippenweg weiter. Er war immer noch total schmal und ausgesetzt. Schließlich tauchte vor mir im Nebel der Jörundur auf, das Ohrwaschl, das wirklich ganz schmal ist (es war nicht der Jörundur, sondern eine andere Basaltformation, Anm.).

Ich überwand eine Felsstufe und sah ein Seil, das ein guter Geist hier befestigt hatte. Doch nach 30 – 40m war das Seil zu Ende, und ich musste mich über den nassen, abschüssigen Weg weiter plagen.

Der Wind war ziemlich heftig und machte keine Anstalten, sich – wie das der Wetterbericht sagte – zu legen. Der Nebel war unverändert dicht, und ich setzte angestrengt Fuß vor Fuß. Schließlich wurde das Gelände leichter. Dafür verlor ich in dem höckrigen, moosbewachsenen Gelände den Weg. Ich war an einem See angekommen, den ich auch auf der Karte identifizierte (er befand sich neben dem Múli, dem Querrücken, der vom Kálfatindur ausgeht).

Welcher Idiot hatte bloß den Tipp ins Internet gestellt, die Karte gegen Feuchtigkeit mit einem Haarspray zu imprägnieren? Das hat nämlich zur Folge, dass der Haarspray bei Feuchtigkeit wie ein Kleber wirkt, und wenn das eintrocknet, wird die Karte unbrauchbar. Ich packe die Karte also sofort wieder weg. Nun fängt auch das GPS-Gerät zu spinnen an und verlangt dauernd nach „clear sky“. Beim Versuch, einen großen Kreis zu gehen, um wieder auf den Weg zu stoßen, verliere ich endgültig die Orientierung und finde nicht einmal mehr zum See zurück.

Gott sei Dank hatte ich auf der Karte gesehen, dass von diesem See ein Weg abwärts führt. Das Gelände hinunter zu sollte also einigermaßen passierbar sein. Und ich beschloss, einem Bach zu folgen, der hier abwärts plätscherte.

Das funktionierte eine Zeit lang sehr gut. Ich war happy.

Schließlich sah ich weiter unten, wo sich der Nebel lichtete, bereits wieder die Hornvík. Blöd nur, dass dazwischen noch eine Steilstufe war, über die der Bach verschwand. Doch da sah ich plötzlich jenen Weg, der hier abwärts führen sollte und der mich sicher durch die Steilstufe führte.

Nun musste ich aber nochmals über den Berg auf die andere Seite. Ich beschloss, wieder durch's Innstidalur zu gehen, das ja einen gut sichtbaren, angenehmen Weg hatte. Irgendwie grauste mir zwar davor, wieder in die Nebelsuppe einzutauchen. Aber was blieb mir anderes übrig?

Schließlich erreichte ich auch jene Abzweigung wieder und glaubte mich schon auf der sicheren Seite. Doch nun ging's wieder über den Grat. Und der Wind blies so heftig und ruckartig, dass ich mich zeitweise zu Boden werfen musste, um nicht über den Klippenrand getragen zu werden (so empfand ich es zumindest). Und gemeinerweise galt: je ausgesetzter der Weg, desto heftiger der Wind.

Kalt war mir, überall der Nebel, der Weg zog sich endlos. Heute bekomm ich eine Lektion, dachte ich (siehe vorn). Und es ging ja alles gut. Nach 10 Stunden ohne wirkliche Pause erreichte ich müde und durchfroren den Leuchtturm und wurde freundlich von Ævar und Una Lilja begrüßt. Sie hätten schon begonnen, sich Sorgen zu machen um mich wegen des schlechten Wetters. Ævar hat mir dann ein köstliches Stück Hühnerfleisch vom Holzkohlengrill zugeschoben. Ich hab mich revanchiert, indem ich meine Ingwervorräte der nächsten Tage spendiert habe.

Und nun sitze ich also nach einer sehr kalten und kurzen Dusche in der warmen Stube, graue mich vor dem kalten Zelt und hoffe inständig, dass das Wetter morgen wieder besser ist.

Wenn es immer noch nebelig ist, bleib ich einfach einen Tag hier im Haus, denk ich mir.

...

Hab noch gelernt, dass das Leuchtturmhaus heuer erstmals so richtig in Betrieb genommen wurde, der Generator nach 10 Jahren zum erstenmal wieder im Juni angeworfen wurde. Und dass der rote Stern hier über der Tür vom extrem linken, kommunistischen Leuchtturmwärter stammt. Draußen patrouillierten die Amis + Briten, hier saß der kommunistische Wärter..

Und die 2 Frauen im Nachbarzelt sind 2 sehr nette, ältere Damen, denen man das gar nicht zutrauen würde.

 

Blick auf Hornbjarg mit Miðfellet und Jörundur (Ohrwaschl)

 

Polarfuchs

 

 

Dienstag, 5. 7. 05

Hornvík.

 

2 Highlights gab es heute:

  • Das eine, als ich bei der Nothütte in der Hornvík ankam und tatsächlich mein Fresspaket vorfand. Das war wie Weihnachten, und ich hab mich gleich auf die Cashewnüsse gestürzt.

  • Das zweite war, als nach dem hartnäckigen Nebel der letzten Tage plötzlich die Sonne durchbrach und sich einige der Berge zwar nicht ganz entblößten, aber immerhin den Schleier lüfteten. So konnte ich auch Teile jenes Weges sehen, den ich mich gestern am Hornbjarg entlanggekämpft habe. Es war so herrlich, die Sonne wiederzusehen, dass das vielmals für den dichten Nebel entschädigte.

Ansonsten noch erwähnenswert:

Hab bei der Kýrskarð-Überquerung erstmals den Kompass benutzt, und das ging sehr gut. Eigentlich war es überflüssig wegen der dichten Pflockmarkierungen und dem gut sichtbaren Weg (großteils jedenfalls). Aber die Richtung hätte ziemlich genau gestimmt. Wohingegen die GPS-Koordinaten eher irritierend waren (diesmal waren es die vom Útivist-Guide).

Furt:

Der Hafnarós ist wirklich breit. Und ich bin froh, dass ich meine Beine bis auf die Unterhose entkleidet habe. Denn nach all dem Regen ging mir das Wasser bis zur Mitte des Oberschenkels.

Zeltplatz:

Massenauflauf. Trotzdem schön gelegen. Und auf einer Tafel des Naturschutzverbands steht, dass es erwünscht ist, dass die Leute hier auf den vorgesehenen Zeltplätzen campen. Versteh ich auch. Obwohl's in Rekavík bak Höfn schon besonders schön gewesen wäre.

Hvannadal:

Bin nach der Ankunft in der Hornvík noch spazierengegangen am Strand entlang – Tröllakambur, Rekavík und dann weiter auf dem Pfad Richtung Hvannadal. Knapp vor der Felskante, an der das Seil befestigt ist, hab ich aufgegeben und umgedreht. Dabei wäre da dahinter schon das Hvannadal gewesen.

Und nun weiß ich nicht > soll ich dort morgen noch einmal gehen, um zumindest zum Langikambur zu gelangen? Oder gar das Hvannadal hinauf? Oder hab ich mich heute schon genug gefürchtet? (Komischerweise war vor allem der Rückweg über dieses schmale, ausgesetzte Weglein hoch über den Klippen mühsam – vielleicht weil ich beim Hinweg so sehr von meiner Neugier getrieben war, dass ich gar keine Zeit hatte zum Fürchten? Oder weil der Mensch halt eine bessere und eine schlechtere Seite hat?)

Naja, jetzt hoffe ich halt, dass die Wendung zum schöneren Wetter anhält und ich morgen einen schönen Tag habe.

 

Weg zum Hvannadal

 

 

Mittwoch, 6. 7. 05

Hvannadal/Atlaskarð.

 

Heute war mein Glückstag. Heute hatte ich die Sonne als Begleiterin. Aber alles der Reihe nach: Gestern hatte ich also noch in meinen diversen Routenbeschreibungen nachgelesen, dass ich gestern nur ein paar Meter vor dem Ziel aufgegeben hatte. Wäre ich bis zu dem Seil gegangen, wäre ich ums Eck im Hvannadal gewesen bei den herrlichen Vogelfelsen und Felsnasen, die sich von dort ins Meer erstrecken – u.a. den Langikambur, von dem aus man herrlichen Einblick in die Nistplätze ringsum hat.

Wem der Pfad ins Hvannadal zu ausgesetzt sei, riet der Guide, der solle sich einfach auf den Weg konzentrieren und nicht viel runterschauen. Das hab ich auch gemacht und bin sicher und vergnügt im Hvannadal angelangt, wo ich zunächst einmal ausführlich die Vögel studierte. Eier hab ich bei keinem einzigen gesehen. Weder bei den Möwen noch bei den Alks. Und was die an „Nestern“ haben, würde meiner Meinung nach auch kaum einem Ei Halt geben (tut's aber offenbar).

Ansonsten aber war es beeindruckend > in diesem Loch aus Klippe und rechts und links 2 große Felsvorsprünge hat sich das aufgeregte Schreien der Möwen so richtig gefangen. Vögel flogen wie Mücken auf einer Sonnenwiese durch die Luft.

Anschließend bin ich das Hvannadal, das wie eine Halbschüssel bei den Klippen abrupt abbricht, im Talgrund aber recht freundlich und flach ist, um dann nach allen Seiten steil anzusteigen, ich bin also das Hvannadal hinaufgestiegen. Wollte nur schauen, wie dieser Aufstieg ins Hvannadalsskarð ausschaut. Von unten konnte man nichts sehen, weil der Nebel schwer über den Bergkanten hing.

Unterwegs hab ich eine ganze Fuchsfamilie mit 1 Erwachsenen und 5 oder 6 Jungen getroffen, die sich gebalgt haben und mich dann mit einem gewissen Sicherheitsabstand begleitet haben.

Schließlich wurde es immer steiler. Und nun begann ein seltsames Phänomen: Ich hatte den Eindruck, als ob rund um mich der Nebel immer dichter würde, auch unter mir. Aber dort, wo ich mich befand, schimmerte die Sonne durch den weißen Vorhang.

Es wurde immer steiler. Ich erinnerte mich an die Angaben des Guides: Wählen Sie Ihren Weg mit Sorgfalt, dann ist es nicht gefährlich.

Schließlich war ich schon beim Felsenkranz angelangt. Und tatsächlich > genau zwischen 2 Felsen öffnete sich ein schmale, gangbare Schlucht. Da musste ich in meiner Neugier natürlich auch noch rauf. Oben war es dann etwas flacher. Aber hinter mir schloss sich der Nebel. Und vor allem trat jener Effekt ein, der bei steilen Hängen so häufig ist: du siehst nicht mehr über die Kante von oben und weißt infolgedessen nicht, wo du hinunter kannst. Ich versuchte mir zwar lauter Wegzeichen einzuprägen (unter dem mittleren Buckel von links vorbei etc.), aber ich wollte eigentlich da überhaupt nicht mehr runter.

Schließlich stand ich in der Scharte, auf der anderen Seite ging's ebenfalls steil runter, mitten in eine Nebelsuppe. Glücklicherweise hatte ich mir im Zelt den Kompasswinkel zu einem kleinen See herausgesucht, der da unten liegen sollte. Ich fand den See tatsächlich (das GPS war wieder planlos und verlangte nach „clear sky“). Und vom See folgte ich dem Wasserlauf nach unten in die Hælavík. Dazwischen hatte ich nochmals eine heftige Steilstufe zu überwinden.

Die ganze Zeit über war es wieder so, dass der Nebel dort, wo ich mich befand, aufriss. Und unten am Meer war überhaupt klare Sicht.

Nun musste ich also noch den Weg zum Atlaskarð finden. Und nachdem im Guide gestanden war, dass die Steinmänner bei „dimmviðri“, also schlechter Sicht, oft schwer zu finden wären, hatte ich einen Heidenrespekt vor dieser Route.

Nachdem ich nur über ungenaue GPS-Punkte verfügte, handelte ich mich mit dem Kompass von Stein zu Stein vor. Und wieder das Phänomen, dass der Nebel sich unter und hinter mir schloss und vor mir öffnete.

Als ich dann die Steinmänner des Weges erblickte, drang die Abendsonne immer intensiver durch die Schleier, und ich staunte über all die Lichtstimmungen, die sich dabei ergaben. Zuletzt enthüllten sich sogar die Berge rechts und links des Atlaskarð.

Auf der anderen Seite, Richtung Rekavík bak Höfn, war die Nebelsuppe noch ganz dicht. Aber welch Wunder: Ich betrat das Tal, und der Nebel wich dem Sonnenschein.

Die Atlaskarð ist übrigens eine sehr sanfte, wunderschöne Scharte mit einem herrlichen Felsenkranz ringsum und sehr schönem Ausblick. Für den Geächteten Atli hab ich natürlich, wie sich das gehört, 3 Steine auf einen Steinhaufen gelegt.

Und ich hab mir geschworen, nicht zu vergessen, wieviel Glück ich gehabt hatte: genauso hätte der Nebel so dicht sein können, dass ich zwischen den Steinmännern durchgegangen wäre, ohne den Weg zu bemerken (der in der Steinwüste so gut wie nicht sichtbar war). Es hätte regnen können, stürmen, schneien.

Sehr sehr müde bin ich dann in der Abendsonne zum Zeltplatz gewankt. Und hab mich gefreut, dass da Menschen waren – u.a. ein lange Zeit in Deutschland lebender Isländer samt seinem Sohn und seinem deutschen Freund, mit denen ich ein paar Worte gewechselt habe. Die hatten am Montag, wo ich mit dem Hornbjarg kämpfte, so viel Regen und Gegenwind, dass all ihre Sachen nass wurden und sie das Ganze mühsam in Búðir trocknen mussten.

Das Menü – Fleischkücklein mit Kartoffelpüree – war wie immer etwas geschmacklos. Aber wenn man hungrig ist, ist man über alles froh.

In der Hælavík hab ich übrigens die eine der beiden Notrationen angebrochen, weil ich sonst kein Essen mehr dabei hatte (ich wollte ja eigentlich nur einen Spaziergang ins Hvannadal machen). Und diese Notration hat wirklich gut geschmeckt, besser als so mancher Müsliriegel.

 

Möwenschwarm

 

 

Donnerstag, 7. 7. 05

Hornvík.

 

Hab heute einen Rasttag eingelegt. Das hat gut getan, weil mir nach dem gestrigen Marsch die Hüfte doch etwas weh getan hat. Gespürt hab ich's vor allem, wenn ich mit dem rechten Bein voran über einen Bach o.ä. gespreizt bin. Ansonsten geht es mir physisch ausgezeichnet. Nur am Weg in die Kýrskarð hinauf war das linke Knie nach einer blöden Bewegung ein bissel beleidigt, aber da hab ich ihm eine Fasche gegeben, und es hat wieder gepasst.

Bin also heute am Meer entlang und durch die Sanddünen in den hinteren Teil der Hornbucht gewandert, dort, wo die 4 Flüsse die Hänge herunterstürzen. Vor allem die Gljúfurá (Schlucht) und die Víðirsá (Wasserfall) waren beeindruckend.

Vögel kenn ich jetzt auch schon recht viele, wenn auch nur wenige dem Namen nach. Zwischendurch kam sogar die Sonne durch. Aber jetzt regnet es wieder.

Hab 2 neue Nachbarn am Zeltplatz bekommen. Der eine sieht wie eine Wurzelsepp aus. Der andere hat sein Zelt knapp neben meines gestellt und redet andauernd mit sich selbst (ich tu das nur, wenn ich wirklich allein bin ;-)))

Ob ich dem Rat dieses Útivist-Guide folgen und über die Breiðuskörð in die Fljótavík gehen soll, weiß ich nicht. Denn beide Wegbeschreibungen raten eher davon ab (steil, schwer zu finden). 1 Tag hab ich ja noch Zeit zum Überlegen. Werde mich jetzt endlich meinem Buch widmen.

 

 

Freitag, 8. 7. 05

Hornbjarg. Búðir/Hlöðuvík.

 

Heute war der Hornbjarg doch noch gnädig mit mir. Es begann damit, dass nach dem endlosen Regen der Nacht in der Früh (6Uhr) ein paar blaue Flecken am Himmel zu sehen waren. Ich war optimistisch und beschloss, nochmals zum Hornbjarg/Eilífstindur/Jörundur hinaufzugehen.Dabei lernte ich erstens einen ganz reizenden Winkel der Hornvík kennen > Grænagresi, den zarten Wasserfall Drífandi und den Steinþórsstandur, auf den sich der Bauer vor dem Eisbären geflüchtet haben soll, bis ihm seine Frau mit dem Speer zu Hilfe eilte. Die Ófæra dort war wirklich harmlos.

Auf dem ganzen Weg, auch noch das Innstidalur hinauf, stritten Regenschauer und Sonne um die Vorherrschaft, was zu den seltsamsten Lichtstimmungen inkl. Regenbogen führte. Da gab's z.b. Sonne am Zeltplatz in der Hornvík, und in der benachbarten Rekavík regnete es. Dann sah man richtig, wie die Regenschauer vom Hælavíkurbjarg zum Hornbjarg übers Meer herüberwanderten.

Schließlich setzte sich jedoch die Sonne durch, und ich genoss die herrliche Aussicht vom Klippenrand in alle Richtungen. Mir war heute klar, warum ich den Weg im Nebel verloren hatte.

Den Eilífstindur bestieg ich dann doch nicht, weil es ziemlich blies und ich außerdem am selben Tag noch weiter nach Búðir/Hlöðuvík wollte.

Bei der Furt traf ich dann 2 Reisegruppen (diese isländischen Wandergruppen sind immer sehr nett; es macht Spaß, mit ihnen zu plaudern).

Beim Zeltplatz schien die Sonne immer noch, aber der Wind wurde zunehmend heftiger. Auf dem Weg zum Atlaskarð hinauf (beim Tröllakambur traf ich eine dritte Wandergruppe samt einer Schweizerin, die dort mitwanderte; und der Guide meinte, ob ich mich nicht vor den drangar, also den Wiedergängern, fürchte, wenn ich so allein wandere), im Rekavíkurtal also ging der Wind so heftig, in plötzlichen Böen, dass er mich einmal tatsächlich umwarf, als ich unachtsam war und mich schneuzen wollte. Hab mir aber nur ein dreckiges Hosenbein und ein abgeschürftes Knie geholt.

Oben in der Scharte und über den Fannarlág blies es dann nicht mehr ganz so heftig. Und die Sonne begleitete mich den ganzen Weg, obwohl man sah, dass sich ringsum die Wolken häuften. Als ich dann am Skálarkambur angelangt war und den ersten Blick auf Hlöðuvík und Álfsfell machte, sah ich, dass die Wolken hier bereits sehr dunkel aussahen.

(Musste grad wieder einen Weberknecht aus dem Zelt befördern – mittlerweile greife ich all die Besucher, Weberknechte, Käfer etc., bereits forsch mit den Fingern an, versuche sie an den Beinen zu erwischen, damit sie draußen weiterleben.)

Der Blick in die Skál war atemberaubend – so steil ging's da hinunter. Ich versuchte mich auf den Weg zu konzentrieren und nicht allzu viel hinunter zu schauen (bin offenbar doch lofthræddur), und dann spürte ich schon die ersten Tropfen. Auf diesem schmalen, ausgesetzten Weg fand ich nicht die Muße, mich in Regenkleidung zu werfen. Ich zog nur den Anorak an und schnallte die Regenhülle über den Rucksack. Allerdings zerrte der Wind so heftig an der Regenhülle, dass ich sie nochmals extra befestigen musste und sie immer noch davonzuflattern drohte (muss sie künftig mit dem Reepschnürl festbinden).

Während ich hinuntermarschierte, regnete es immer heftiger. Ich dachte an den Isländer und den Deutschen, denen alles nass geworden war, und hoffte inständig, dass meine Sachen trocken blieben.

Als ich schließlich waschelnass (zumindest die Wanderhose) in Búðir anlangte, ging ich auf die Nothütte zu. Ich wollte meine Sachen dort disponieren, um dann in Ruhe mein Zelt aufzustellen.

Komisch, denke ich mir. Die Tür ist gar nicht verriegelt. Ich mache sie auf, und drinnen ist ein deutsches Pärchen, das von der Fljótavík herübergekommen ist. Und Clife, ein Engländer, der übrigens jener Wurzelsepp ist, den ich bereits in der Hornvík getroffen habe (aber nicht der mit den Selbstgesprächen). Clife ist ganz nett, stellt sich heraus. Er wandert schon das 4. oder 5.x auf Hornstrandir.

Und während wir Erfahrungen austauschten, schimmerte plötzlich die Abendsonne durchs Fenster. Ich gehe hinaus, und es ist die wunderschönste Lichtstimmung. Die Sonne steht warm und tief überm Meer und taucht den Skálakambur in goldenes Abendlicht. Auch die Wiese ist beleuchtet. Die Wolken schimmern von innen heraus. Auch der Álfsfell schaut gleich viel freundlicher aus, obwohl der wenig Sonne abbekommt.

Es ist so schön in der Hlöðuvík, dass ich beschließe, bei der Rückkehr (ich muss ja hier rüber, wenn ich in den Veiðileysufjörður möchte) 1 ganzen Tag zu bleiben (statt in Hesteyri).

Die nächste positive Überraschung gibt's, als ich das Häusl inspiziere, das ein richtiges Wasserclosett ist, und sauber geputzt, samt Waschbecken.

Leider muss ich nochmals aus dem Zelt pinkeln gehen. Und natürlich hat es ausgerechnet jetzt wieder zu regnen begonnen, wenn auch lange nicht so heftig wie bei der Ankunft.

...

Hab draußen soeben den herrlichsten Regenbogen gesehen, den man sich denken kann: ein vollständiger Halbkreis am Himmel, und alle Spektralfarben ausgebildet.

Wenn es nicht so erbärmlich kalt wäre. Gott sei Dank sind meine Sachen trocken geblieben. Mit all meinen Schichten werde ich also nicht frieren.

 

Durch diese Skál (dt. "Schüssel") bin ich im Regen heruntergekommen

 

Abendstimmung in der Hlöðuvík

 

 

Samstag, 9. 7. 05

Fljótavík.

 

Heute war ein richtiger Durchbeißertag. Natürlich gab es auch Schönes. Z.b. die Seehundfamilie in der Kjaransvík, die mich ganz g'schaftig beobachtete und im Uferwasser verfolgte. Oder die schöne Abendstimmung hier am Strand der Fljótavík bei Tunga, die ich dieser hässlichen Bucht nie zugetraut hätte. Aber alles in allem war dieser Tag grauslig anstrengend und unangenehm. Und ich hab die Dinge nur „abgearbeitet“, weil mir nix anderes übrig blieb. Heute hätte ich jederzeit mit einem gemütlichen Platz in Wien getauscht.

Es begann damit, dass ich bei strömendem Regen aufbrechen musste (die kurze Regenpause vor dem endgültigen Zeltabbau hatte sich als nicht dauerhaft erwiesen). Ich hab also die Daunensachen in den Mistsack gepackt (sicher ist sicher) und den Regenschutz fest um den Rucksack vertäut, denn zum Regen kamen auch noch scharfe, plötzliche Windböen.

Ach ja, als ich meine nasse Wanderhose aus der Nothütte holen wollte (hing dort zum Trocknen), musste ich feststellen, dass da noch Leute gekommen waren in der Nacht, die die ganze Nothütte besetzt hatten und ihre nassen Klamotten so über meine Hose gehängt hatten, dass sie nässer war als am Vortag.

Mit großem Vergnügen bin ich also in meine nasse Hose, meine nassen Socken und Schuhe geschlüpft und bei Regen losmarschiert.

Bei der ersten Furt begegnete mir eine Frau, die mir vom anderen Ufer auf Isländisch zurief, ob ich nicht ihren Stock irgendwo sehen könne. Konnte ich nicht. Da stieg sie samt ihren Wanderschuhen, allerdings mit geschürzten Hosenbeinen, ins Wasser, um selber nachzuschauen. Da waren ja meine Schuhe angenehm trocken dagegen...

Beim Aufstieg zur Almenningaskarð hab ich den Weg nicht gleich gefunden, weshalb ich eine grauslige Kräulerei über dicke Moospolster und Felsbrocken machen musste. Zwischendurch peitschte mir der Wind den Regen ins Gesicht. Die Finger waren ganz klamm vor Kälte.

Auch mit Markierung wurde der „Weg“ nicht wirklich besser. Auf der anderen Seite der Almenningaskarð war der ganze Weg bis zur Þórleifsskarð eine Kletterei über Felsbrocken.

Kurz vor der Þórleifsskarð traf ich dann ein Pärchen, das verzweifelt (und vergeblich) versuchte, bei dem heftigen Wind hinter einem besonders großen Steinblock ein Zelt aufzustellen. Die beiden hatten sich beim Aufstieg in die Þórleifskarð so gefürchtet, dass sie lieber übernachten als bei dem Wetter weitergehen wollten. Ich beruhigte sie und sagte, sie hätten das Schlimmste hinter sich, und es würde ganz sicher nicht mehr so steil. „Aber Sie? Gehen Sie jetzt wirklich bei dem Wind die Þórleifsskarð hinunter?“ fragte das Mädchen ungläubig.

Genau genommen hatte ich die Hosen bereits gestrichen voll. Denn in beiden Islandguides war gestanden, dass die Þórleifsskarð „sehr steil“ sei. Zum Vergleich: die gestrige Skál, die mir so unheimlich war, wurde dort nur als „eher steil“ bezeichnet. Es war aber dann ganz harmlos. Erstens ging es nicht so tief runter. Zweitens war der Weg selbst zwar wesentlich steiler als der gestrige, aber er bot genügend Halt. Und wo man durch den Felsgürtel klettern musste, waren zwar hohe, aber durchaus breite Stufen zu bewältigen. Also auch dort keine Gefahr des Ausrutschens oder so. Ich hab mich halt umgedreht und bin dort verkehrt runter.

In der Fljótavík hat sich zwar dann das Wetter verbessert. Es regnete nicht mehr, manchmal kam sogar ein Sonnenstrahl durch. Und auch der Wind hatte sich gelegt. Dafür musste ich kilometerweit/stundenlang eine Sumpflandschaft bewältigen. Und wenn ich mir dachte, geh ich halt am Hang, half das nichts. Denn die Sümpfe können hier sogar an Steilhängen gedeihen. Da rinnt halt dann der ganze Hang, und das Wasser wird von den Moospolstern festgehalten. Oder es ist dichtes Gestrüpp, und du siehst nicht, ob du grad in ein Moorbächlein, Wasserloch etc. reintrittst.

Zum Schluss war ich außerdem schon saumüde und hungrig (fast 12 Stunden unterwegs mit 2 Müsliriegeln und 3 Stück Traubenzucker). Und ich habe diese Fljótavík gehasst. Jedesmal, wenn ich in einen Sumpf geraten bin, hab ich sie gehasst.

Den Álftir (=Schwänen) hingegen war das wurscht. Die haben sich wohlgefühlt, sind majestätisch durch die Gegend geschwommen oder gewatschelt und haben ihre Jungen betreut. Ein Pärchen hatte sogar 6 Junge – ob da welche adoptiert waren?

Menschen auf Hornstrandir. Es gibt sehr viele. Viel mehr als erwartet. Bis auf solche wie die in der Nothütte sind sie in der Regel auch sehr nett. Und manchmal, wie heute bei der Þórleifsskarð, freut man sich richtig drüber, welche zu treffen.

Vor allem aber freut man sich auf diesen oft sehr schwer zu findenden Routen über jedes Zeichen eines Menschen – Steinmann, Stüpfel, Fußspuren. Die liebevolle Fürsorge anderer Menschen hilft mir und allen, die hier wandern.

(Es regnet wieder, und der Wind zerrt an meinem Zelt.)

>> Die Einsamkeit suchen, um die Freude an den Menschen und die Dankbarkeit ihnen gegenüber zu finden.

Noch was anderes ist mir durch den Kopf gegangen:

Warum tu ich mir freiwillig solche Wahnsinnstage wie heute an?

Die Antwort steht noch aus.

Bin zu müde zum Weiterschreiben.

 

 

Sonntag, 10. 7. 05

Fljótavík. Látravík.

 

Bin mit der Welt (=Umgebung) wieder ausgesöhnt. Mein Zelt ist zwar klein, aber wind- und wetterfest. In der Nacht war es auch wieder wärmer als in den letzten Tagen. Und der Ausblick hier am Meer heraußen ist herrlich. Außerdem genieße ich es, nach all den Tagen endlich wieder einmal allein zu zelten. Der benachbarte Tunga-Hof (Sommersitz) scheint zur Zeit leerstehend zu sein. Jedenfalls hab ich noch niemanden gesehen. Ist auch besser so – immerhin hab ich Durchfall nach all dem (verbesserungswürdigen) gefriergetrockneten Fraß, und es gibt keine Möglichkeit, unbeobachtet vom Hof zu sch...

Der Regen hat aufgehört, aber etwas Nebel hat sich oben auf die Spitzen der Berghäupter gelegt. Deshalb warte ich auch mit dem Gehen. Vielleicht starte ich später oder überhaupt erst morgen. All meine Guides sprechen zwar von eher dichten Steinmännern, aber dieser Útivist-Mann hat mich gewarnt, dass man dort oben leicht den Weg verlieren kann im Nebel. Und ich habe nicht vor, mir heute schon wieder eine Gewalttour anzutun.

Übrigens hab ich grad nachgelesen, dass man vom Tröllaskarð aus den ganzen Weg übers Háfell bis in die Hornvík gehen kann bei Schönwetter. Da werde ich vielleicht doch die Direttissima vom Kjaransvíkurskarð in den Veiðileysufjörður packen. Denn wenn der Abstieg in dieses eine Tal zu schwierig ist, kann ich ja einfach beim Hlöðuvíkurskarð hinuntergehen. Werden sehen...

Zur gestrigen Frage: Warum tu ich mir sowas an?

a) Es gehört einfach dazu, nachdem es hier nicht nur Schönwetter gibt. Man nimmt es also in Kauf, um die Schönheiten genießen zu können. Und die genießt man umso mehr, weil man sie viel mehr zu schätzen lernt in all ihren Feinheiten – z.b. wenn der Regen schwächer wird oder ein Hauch von Sonne durchschimmert, geht einem schon das Herz auf. Sonst würde man das vielleicht nicht einmal bemerken.

b) Man geht an seine Grenzen und freut sich, wenn man's wieder einmal geschafft hat. Es hat auch was mit Planung und Umsicht zu tun – etwa mit den Vorbereitungen, mit denen man vermeidbare Fehler ausschaltet (z.b. wasserdicht verpackter Schlafsack, Kompassrichtung und GPS-Punkte vorbereitet...). Man lernt Nerven zu bewahren und nicht auf so abstruse Ideen zu kommen wie ein Zelt bei heftigem Wind mitten in einem Steinfeld aufbauen zu wollen. (Wenn ich das getan hätte, wäre ich zum Zelten weiter hinunter ins Tal gestiegen, wo es Wiesen und Bäche gab.)

c) Gewissermaßen hat das Ganze auch meditativen Charakter. Man geht einfach, man tut einfach. Bei diesen Hatschern baue ich auch meistens meine Wazaif ein. Lediglich für Sümpfe hab ich noch kein geeignetes Wazifa gefunden. Im Sumpftal hab ich nämlich nur noch geschwiegen oder geflucht. Aber vielleicht war ich auch schon zu müde für alles. Immerhin waren das gestern ca. 17 km in schwierigem Gelände mit 20 kg Gepäck am Buckel.

...

Bin in Látrar/Aðalvík oder eigentlich Látravík angelangt und komme grad von einem Abendspaziergang am Strand zurück. Wunderschöne Basaltfelsen sind dort, mit Oktogonpfeilern, deren Durchmesser teilweise über 1 m ist.

Auf einer solchen Basaltformation, die weit ins Meer hinausstand, hab ich dann meine Atemübungen gemacht, begleitet vom Tosen der Brandung, die dort mit einem dumpfen Knall in ein Felsloch einfiel.

Rückweg dann oberhalb des Strandes zwischen den Häusern, von denen es mindestens 7 bis 8 hier gibt. Sie sind tatsächlich bewohnt, Kinder tollen herum. Es gibt sogar einen Flugplatz (wie in Fljótavík). Und weil die Briten seinerzeit hier eine Straße gebaut haben, gibt es sogar Bewohner hier, die diese Straße mit so einem Geländefahrzeug mit dicken, kleinen Reifen befahren. Wozu? Wohl nur aus Spaß.

Wie ich auf den Zeltplatz hier gekommen bin, denk ich mir, dieses Zelt kenn ich doch >> ist es doch tatsächlich Clife, der genauso geschaut hat wie ich über die neuerliche Begegnung.

Der Tag war heute wieder wunderschön. Hier in Island ist eben alles totaler Gegensatz – heiß oder kalt, Feuer oder Eis, Steinwüste oder prachtvolle Blumen...

Da gegen Mittag das Wetter freundlicher wurde (der Regen hörte auf, manchmal schimmerte eine Ahnung von Sonne durch), beschloss ich also, mich auf die Tunguheiði zu wagen. Auch der Nebel war fast weg. Hinter dem Tunga-Hof geht es ziemlich steil auf 420 m hoch. Und dieser Weg führt über Geröllhalden, die sehr kraftraubend zu begehen wären, wenn nicht der Bauer & Fischer Júlíus Geirmundsson und sein Geschlecht in mühsamer Handarbeit Stein auf Stein geschichtet und einen schönen Weg gebaut hätten. Júlíus soll aber auch täglich über die Tunguheiði nach Látrar zum Fischen gegangen sein und am Abend mit dem frisch gefangenen Fisch zurück. Muss gut bei Fuß gewesen sein. Denn ich ging da, allerdings mit backpack, gut 5 Stunden. One way.

Als ich oben auf die Hochebene kam, war der Nebel wieder da. Und es sah schön aus, die total gerade Fläche nach allen Seiten, mit Steinen übersät, der Nebel, in dem sich alles verliert, und davor in einer schönen Linie 1 Steinmann hinter dem anderen (von wegen schwer finden...). Und wie ich dann auf der anderen Seite des Kóngar wieder herunter will auf die eigentliche Tunguheiði, klart es plötzlich auf, und ich habe den herrlichsten Fernblick über die Aðalvík und all die Bergketten ringsum.

Plötzlich sehe ich 2 Vögel (sehr dunkle Möwen?), die einen Fuchs angegriffen haben. Wahrscheinlich ist er ihrem Nest zu nahe gekommen, denn die sind beide abwechselnd von links und rechts im Sturzflug auf ihn zugeflogen, vielleicht ein paar Zentimeter über seiner Schnauze. Und wieder, und wieder. Der Fuchs hat sich ängstlich geduckt, und die Vögel haben ihn regelrecht vor sich hergetrieben.

Friedlich geht es hier übrigens gar nicht zu. Immer wieder sieht man irgendwo abgenagte Vogelkadaver (auf Bjarnarnes waren sogar kräftig stinkende Seehundkadaver am Strand). Und wie ich vorgestern zum Atlaskarð hinaufgekommen bin, hab ich plötzlich einen scharfen Luftzug gehört, und wie ich aufschaue, sehe ich einige Meter über mir etwas durch die Luft wirbeln - Federn eines Vogels, der grad von einem größeren Raubvogel geschlagen wurde?

 

 

Montag, 11. 7. 05

Sæból/Aðalvík.

 

Das Wetter ist verrückt hier. Da komme ich bei strömendem Regen in Sæbóĺ an, stelle mein Zelt auf und freue mich, einen Schutz vor Wind und Nässe zu haben. Und während ich mich hier gemütlich einrichte und ein Abendessen bereite, klart der Himmel teilweise auf (sowas empfindet man hier schon als Schönwetter).

Bin also heute von Látravík über Miðvík bis nach Sæból gehatscht (das ist alles Adalvík, die ist nämlich 3teilig und wird von 2 Bergzügen zerschnitten). Die Furten waren harmlos und am Basaltgeröll wirklich leicht zu erkennen.

Den Kleif zu überwinden war harmlos, weil es da ein nettes Wegerl knapp oberhalb des Küstengerölls gibt. Bin dann in Miðvík ein paarmal auf und ab gegangen, weil ich viel zu früh dran war für Ebbe. Und dabei hab ich entdeckt, dass der Kleif bei Ebbe sogar Sandstrand zu Füßen hat. 2 Stunden vor dem Höhepunkt der Ebbe hab ich mich schließlich auf den Weg gemacht, um den Hvarfnúpur zu überwinden. Zuerst musste ich über eine Stunde lang von Stein zu Stein turnen – das Geröll bzw. die Blöcke waren dort ziemlich grob. Und dann kam Posavogur oder Taschenbucht, die den Namen davon hat, dass ein Mann sein Kind zur Taufe bringen wollte, es in einer Tasche bei sich trug und ihm die Tasche auf der Hyrningsgata – einem Felsband oberhalb der Posavogur – ins Wasser fiel.

Að fara tök, sich am Seil vom Strand ca. 30m hinaufzuhandeln, schien zwar nicht unmöglich, mit schwerem Rucksack aber eine sehr mühsame Angelegenheit. Also hab ich erkundet, wie die im Guide beschriebene Kletterstelle in der Posavogur beschaffen war: ca. 3m hoch, ziemlich gerade hinunter, aber sowohl Griffe als auch Tritte und eine kurzes Seilstück (oben) sowie eine Kette (unten) zum Anhalten.

(Ich musste soeben die Zelttür öffnen, um die Abendsonne hereinzulassen. Die Sonne hindert den Wind leider nicht daran, heftig an meinem Zelt zu zerren.)

Zurück zur Posavogur: Wenn du das erstemal dort kletterst und von oben kommst, also Griffe und Tritte schlecht siehst, und einen schweren Rucksack hast, ist das ungemütlich. Also hab ich den Rucksack an meinem Reepschnürl runtergelassen. Und ohne Gepäck war's wirklich kein Problem. Bin dann draufgekommen, dass ich die Regenhülle oben vergessen hatte und nochmals rauf musste. Aber da war's schon fast ein Vergnügen.

Ich finde das spannend, wenn man (fast) jeden Tag Herausforderungen vor sich hat, wo man nicht weiß, wie sich das entwickeln wird. Das hat was von Abenteuer und Pioniertum an sich, auch wenn ich weiß, dass schon 100e oder eher 1000e vor mir denselben Weg gegangen sind.

Anschließend, nach so einem Hindernis, ist man dann zufrieden, ein bissel stolz vielleicht. Und was so schön ist hier – dass man täglich neue Landschaften entdeckt. Der Augenblick, wenn man von einer Scharte oder Bergkante zum erstenmal die Landschaft jenseits davon sieht, ist immer besonders aufregend.

Aber heute krieche ich nicht mehr aus dem Schlafsack. Ich genieße die Abendsonne im Zelt und werde jetzt endlich bei Ibn Arabi weiterlesen.

 

Aðalvík

 

 

Dienstag, 12. 7. 05

Sæból. Darri.

 

Das war vielleicht eine Nacht... Der Wind war so heftig, dass er mir das Zelt zeitweise im Liegen auf den Kopf gedrückt hat. Ich hatte wirklich Sorge, ob das Akto diesen Anforderungen standhält. Und der Luftzug war trotz geschlossenem Innen- und Außenzelt so stark, dass ich mir das Stirnband aufgesetzt hab. Der Zeltstoff hat so laut geknattert, dass an Schlafen lange nicht zu denken war. Erst gegen Morgen bin ich dann eingenickt.

Nun ist es vormittag. Der Wind ist immer noch kräftig, aber im Vergleich zur Nacht zahm. Gerade ist das Sjóferðir-Boot angekommen. Und ich werde probieren, ob ich bei dem Wind ein warmes Frühstück zusammenbringe. Noch scheint übrigens die Sonne.

...

15Uhr30: Nachdem die Sonne vom Himmel strahlte wie schon lange nicht, beschloss ich, durchs Garðadalur auf den Darri hinaufzugehen, wo die Briten ihre Radarstation hatten, von dort entlang des Grænahlíð zum Teisti und über das Staðarvatn zurück.

Der Aufstieg auf den Darri war für isländische Verhältnisse höchst komfortabel – vorher ein Karrenweg, und dann die Trasse der ehemaligen Materialseilbahn in der Direttissima hinauf. Der Blick von oben war wunderbar – hier die Aðalvík in voller Breite, bis hinein zur Kirche von Staður, dahinter das Háfell, und ganz hinten tauchte die weiße Kuppe des Drangajökull auf.

Am Meer, beim Straumnesvíti (Leuchtturm), war der Horizont über dem Meer jedoch in einer dicken, grauen Wolken- und Dunstschicht verpackt. Und als gelernter Hornstrandirwanderin schwante mir bereits Übles.

Als ich bei der Radarstation oben war, wurde der Wind beißend scharf und kalt (ich schlüpfte sogar in die Wollfäustlinge). Und er jagte mit einer Geschwindigkeit, dass einem beim Zuschauen schwindlig wurde, Wolkenfetzen über die Kante des Grænahlíð, sodass der Himmel binnen Kürze fast gänzlich bedeckt war. Nachdem die Windböen teils so stark waren, dass sie einen ein paar Schritte vertrugen, wenn man sich nicht rechtzeitig dagegenstemmte, brach ich meine Tour ab und spazierte wieder zum Zelt zurück. Irgendwie hatte ich heute keine Lust auf einen ungemütlichen Tag.

Am Rückweg gab's zeitweise wieder Sonne und sogar Windstille (manchmal). Besonders schön war (was ich schon zum zweitenmal erlebte): Ich stehe an einem Bach, mitten unter sattgelben Hahnenfüßen, und plötzlich strahlt die Sonne wieder durch die Wolken. Kleine Sonnen unten, die große Sonne oben, und ich mittendrunter. Innerlich hab ich mitgestrahlt.

Nun sitze ich also hier im Zelt, schlürfe Tee und mache dann vielleicht noch einen Abendspaziergang. Die Windböen lassen eine ähnlich heftige Nacht erwarten wie die vergangene.

Die Naturgewalten hier lassen dich fühlen > du bist ein Nichts gegen sie. Die fegen dich weg wie nix, samt deinen Ausrüstungen und Vorbereitungen etc. Wenn du weiterlebst, dann eigentlich nur, weil sie sich normalerweise im Gleichgewicht halten und jeweils rechtzeitig einkriegen. Oder weil das Universum gnädig ist oder was weiß ich. Von Beherrschen durch den Menschen ist hier jedenfalls keine Spur. Nur ein kleines Beispiel: In meinen Guides ist noch angeführt, dass in der Rekavík bak Höfn ein schöner, neuer Sommersitz steht auf den Ruinen des alten Gehöfts. Tatsächlich war dort nur ein Bretterboden – wie ein Tanzboden – zu finden. Und die Teile des Hauses lagen verstreut im Bachbett. Es hatte den Winterstürmen nicht standgehalten, und die Eigentümer hatten es nicht wieder aufgebaut.

 

 

Mittwoch, 13. 7. 05

Hesteyri.

 

Ein seltsamer Tag. Das Wetter war prachtvoll, kein Wölkchen am Himmel. Heiß, sodass ich im Unterleiberl marschierte. Erst am Nachmittag wurde der Dunst am Horizont immer stärker, bis gegen 17Uhr schließlich die ersten Wolken auftauchten. Im Moment ist der Himmel relativ klar, und alles ist in ein mildes Pastelllicht getaucht.

Auch der Wind hat sich in der Früh gelegt, nachdem er in der Nacht wieder so geblasen hatte, dass ich kaum ein Auge zutat und gegen 4Uhr Früh genervt aus dem Schlafsack kroch, frühstückte und Richtung Hesteyri loszog (Start war eh erst gegen 6Uhr, so lang dauert die Prozedur von Körperhygiene, Frühstück, Packen, Zeltabbauen).

Die Morgenstimmung war schön, die Kirche in Staður samt Friedhof und Gemeindehaus sehr stimmungsvoll. Am Friedhof lag auch einer mit Todesjahr 1999. Der musste sich also hier begraben haben lassen, obwohl er und seine Familie seit Jahrzehnten weggezogen waren.

Konditionsmäßig war ich heute mies drauf. Vielleicht, weil ich so schlecht geschlafen hatte. Im Steilstück blieb ich immer wieder stehen (nicht nur wegen der Aussicht). Dann taten die Zehen („Ring“zehe und mittlere Zehe) so weh, dass ich sie einschmieren und einpflastern musste. Weh tun sie eigentlich bereits seit dem Atlaskarð, wo ich vom Furten Sand zwischen den Zehen hatte, der mich wundrieb. Aber statt besser wurde es schlechter.

Ein bissel auf der rechten, vor allem aber auf der linken Hand bekam ich dann auch noch einen starken, allergischen Ausschlag. Gestern hatte ich das noch für Mückenstiche gehalten. War's von der Sonne? Oder die Ausgesetztheit in Wind und Wetter?

Und der Hunger wurde heute wegen des knappen Futters so stark, dass ich einfach zu schlingen begann. Nachdem ich also bereits um ½ 5Uhr gefrühstückt hatte, verspeiste ich um 9Uhr meine beiden Müsliriegel (eigentlich mein Mittagessen) in Erwartung des nächsten Fresspaketes in Hesteyri. Wie groß war die Enttäuschung, als es dann nicht da war! Ich marschierte zum Læknishús (Doktorshaus), und die Frau dort rief für mich bei Sjóferðir an. Das Paket sei auf dem Boot, das heute um 15Uhr ankäme, hieß es. Ich hatte also noch 2 Stunden zu warten. Und was tat ich? Ich fraß die restlichen ¾ der einen Notration auf, die ich in der Hælavík angebrochen hatte. Außerdem verschlang ich noch die ganze Tafel Schokolade. Die Rosinen sind noch da. Und dazu verspeiste ich noch mein übliches Nachtmahl. Lediglich die Suppe blieb übrig. Dafür fühle ich mich zum erstenmal seit langem richtig satt.

Herrlich angenehm war der lange Spaziergang am Sandstrand von Hesteyri, der sich weit hinzieht bei Ebbe. Bloßfüßig, versteht sich. Außerdem hab ich Wäsche gewaschen und Haare gewaschen.

Danben führte ich noch genaue Ebbe-Studien durch, da die 2 Fluttabellen (und die angeblichen Differenzangaben zwischen Reykjavík und hier) nicht ganz zusammenpassten > es ist die Tabelle von Vesturferðir, nach der ich mich richten muss.

Während ich so beschäftigt war, beobachtete ich eine Gruppe von Halbwüchsigen, die gemeinsam mit einem Erwachsenen das Campingplatz-Häusl warteten: das Häusl wurde vom Loch weggehoben, der Kot etc. mit Erde und Grasziegeln zugedeckt, die aus dem Loch stammten, das daneben gegraben wurde. Anschließend wurde das Häusl auf's neue Loch gestellt und gewaschen. Und die Jugendlichen durften sich nun Zelte aufstellen und im Ufersand Dämme bauen etc. (ohne Aufsicht durch Erwachsene). Finde ich gut, sowas.

Hesteyri ist nicht nur sehr schön von der Umgebung her, sondern auch als „Ortschaft“ die schönste bis jetzt. Denn während woanders halt die Ureinwohner und deren Nachfahren diverse Sommersitze errichtet haben, bemüht man sich hier, die alten Häuser original zu erhalten – die Schule, das Geschäft, das Doktorshaus etc.

Als ich endlich für eine Fotosafari Zeit fand, war allerdings die Sonne hinter den Wolken verschwunden. Ich bin dann noch zur alten Walfangstation marschiert. Und vielleicht kann ich ja morgen früh noch das eine oder andere Haus fotografieren. Eigentlich wollte ich am Heimweg noch das Doktorshaus fotografieren. Dann bin ich aber auf die Idee gekommen, dort nach dem alten Weg in den Veiðileysufjörður zu fragen. Den kannten sie nicht, dafür telefonierte die nette Dame (Birna) so lange herum, bis sie jemanden auftrieb, der mir noch einen anderen Weg beschrieb – übers Svínadal. Ich kann mich erinnern, dass auch der in einer meiner Beschreibungen erwähnt wurde. Aber nach dem Studium der Karte nahm ich Abstand davon > je nach Wetter probiere ich den Weg über die Achsel der Kjaransvíkurskarð oder mache den Umweg über die Hlöðuvík.

P.S.: Eine wunderbare Sicht gab es heute auf den Drangajökull.

 

Staðarvatn

 

Weg Richtung Hesteyri

 

Hesteyri

 

Blick auf den Skálafell gegenüber von Hesteyri

 

 

Donnerstag, 14. 7. 05

Veiðileysufjörður.

 

War ich stolz, wie gut ich diesen Weg vom Kjaransvíkurskarð übers Háfell herüber in den Veiðileysufjord geschafft hatte!

In der Früh wollte ich ja zuerst gar nicht aus dem Zelt kriechen, weil so um 6Uhr herum überall Nebelbänke auf den Bergen lasteten. Aber nach dem Start Richtung Kjaransvíkurskarð um ca. 9Uhr klarte es rasch auf, und die Sonne beschien einen prachtvollen Tag. Ursprünglich wollte ich ja in die Hlöðuvík hinüber, nach Búðir, und von dort bei Schönwetter über die Hlöðuvíkurskarð in den Veiðileysufjörður, oder bei Schlechtwetter über Atlaskarð/Hornvík/Hafnarskarð zum selben Ziel.

Als dann aber in der Kjaransvíkurskarð weit und breit kein Wölkchen oder Nebelfetzen zu sehen war, stieg ich über die Schartenachsel aufs Háfell. Ob ich direkt in den Veiðileysufjord hinuntergehen oder bis zum Hlöðuvíkurskarð weitergehen würde (laut GPS etwas über 4km), hatte ich noch nicht entschieden.

Ein bissel angespannt war ich schon. Eifrig speicherte ich im GPS-Gerät meinen Weg, maß auch den Kompasswinkel, schaute mich immer wieder am Himmel nach drohenden Wolken um. Gleichzeitig musste ich mich aufs Gehen konzentrieren, weil es dort oben nur grobe Steinblöcke und -platten und dazwischen Moos gibt. Von der Scharte aus ging es noch ca. 200m bergauf, und die Sicht von oben war großartig. Ab und zu fand sich auch ein Steinmann. Zuwenige, um regelrecht einen Weg zu markieren. Eher etwas für Kundige > du bist richtig hier. Ich überblickte auch einigermaßen den Weg bis zur Hlöðuvíkurskarð und hatte den Eindruck, das ist möglich, da kommt man durch.

Als ich mit 620m die höchste Stelle dort erreichte, erblickte ich halbrechts einen Steinmann. Theoretisch hätte es dort hinunter Richtung Veiðileysufjord gehen können (tat es auch), aber nachdem ich keinen weiteren Steinmann sah, stattdessen nur Stein- und Geröllhänge bis zur Kante, über die man nicht drübersah, ignorierte ich den vorerst und ging Richtung Hlöðuvíkurskarð weiter. Dabei machte ich einen Bogen, und nun sah ich von der Seite her, dass das genau die Stelle war, wo auf Clife's Karte der alte Weg eingezeichnet war. Und ich sah, dass diese Skál=Schale gangbar sein musste. Also marschierte ich auf die Skál los. Und sie war zwar steil, aber nie ausgesetzt. Ich hatte nie Angst, war nur sehr konzentriert beim Abstieg. Und unten mächtig stolz...

Dann wollte ich aber noch am selben Tag beim Lónshorn vorbei, wo man nur bei Ebbe gehen kann. Und da bekam ich einen Vorgeschmack darauf, was mich am Lónafjörður erwartet. Die Zeit passte genau: ½ 7 am Abend. 18Uhr45 war Ebbe laut Gezeitentafel in Ísafjörður. Und dann sah ich, dass ich an 2 Stellen trotzdem nicht vorbei kam, auch nicht mit Watschuhen. Bzw. dass ich einigermaßen tief ins Wasser steigen musste. Irgendwie wollte ich das Ganze nach einem anstrengenden Tag einfach hinter mich bringen und watete durch. Das Wasser machte mir den Hosenboden und die Unterhose nass, so tief war es bei Tiefststand der Ebbe. Und in keinem Guide stand davon was drinnen!

Das Blöde aber war, dass ich meine kostbare Hornstrandirkarte zuletzt aus der Plastikhülle herausgenommen und in die Hosentasche gesteckt hatte, weil ich im Veiðileysufjörður immer wieder nachschaute und verglich, was wo sei (z.b. von wo der Weg morgen nach Kvíar weitergeht). Und auf die Karte hatte ich beim Waten natürlich vergessen. Sie war also nass und klebte zusammen (Haarspray!). Und ich musste schnell einen Zeltplatz finden, um sie zum Trocknen auflegen zu können. Im Freien war es dafür zu windig.

Und hier bin ich also nun, auf keinem sehr windgeschützten Platz. Der Wind kommt sogar von der Seite (beim Aufstellen war's windstill, außerdem ergibt sich nur so eine gerade Schlaffläche). Und ich hab keine Ahnung, wie das Wetter wird. Der Himmel hatte sich zwischenzeitlich mit Wolken verzogen, aber relativ hochstehenden. Nun ist wieder einiges Blau durchgekommen. Aber die Wolken bilden so komische Fäden.

Irgendwie genieße ich zwar nach wie vor die Schönheiten hier, trotzdem sehne ich mich schön langsam wieder nach Komfort. Es ist wie bei einer Sanduhr, die umgedreht wurde und bei der der Inhalt schön langsam wieder zurückrieselt.

Eigentlich hoffe ich nur, dass der Weg bis zum Reykjafjörður eingiermaßen ohne grobe Schwierigkeiten bleibt, und dass es dort wirklich einen gemütlichen Ausklang gibt.

 

Blick über die Jökulfjorde

 

 

Freitag, 15. 7. 05

Kviár/Lónafjörður.

 

Heute habe ich mit Abstand den schönsten Zeltplatz, den man sich vorstellen kann: beim Hof Kvíar am Fluss, direkt wo er ins Meer einmündet. Von hier aus überblickt man den ganzen Djúp, sieht bis zum Drangajökull, davor den Anfang des Hrafnsfjörður und rechts davon den Leirufjörður. Außerdem überblickt man den ganzen Grunnavíkurhrepp auf dieser Seite.

Das Wetter war wieder herrlich – makellos blauer Himmel, kaum Wind (auch die letzte Nacht war mild und warm; das merkte ich daran, dass ich mein Daunengilet als Kopfpolster und nicht als Pyjamajacke verwenden konnte).

Auch die Wanderung durch den Veiðileysufjörður und dann über den Kvíarfjall nach Kvíar war wunderschön. Der Blick auf die Berge ringsum, die wie massige Burgen dastehen, teilweise auch mit verwitterten Burgzinnen. Und die Querrippen der Lavaschichten – wie viele Vulkanausbrüche waren notwendig, um das hier aufzubauen!

Eine sehr schöne Aussicht (wenn auch nicht vergleichbar mit der hier) bot auch der alte Hofplatz von Steig, wo man den Fjord nach beiden Richtungen überblicken konnte.

So angenehm das Wetter und die Gegend, so besch... war jedoch das Gehen. Zuerst gut 2 Stunden am Fuß des Djúpuhlíðarfjall entlang – zwischen Moos, Hvönn, Kriechbirken, Sümpfen, in der dichten Vegetation versteckten Steinen und Wasserläufen bzw. -löchern. Und dann der Aufstieg zum Kvíarfjall, wo ich im Moos und Heidekraut bei jedem Schritt 10 bis 20cm eingesunken bin. Da war dann der Kvíarfjall selbst mit seinen Steinplatten und -halden fast eine Wohltat. Obwohl – dass die Geröllhalden bis knapp oberhalb des Hofes Kvíar reichten, war dann auch mehr als genug. Jedenfalls war ich hundemüde, als ich hier ankam. Obwohl es mir heute konditionsmäßig recht gut ging. Gestern übrigens auch.

Irgendwie tut es gut, endlich in der richtigen Einsamkeit angelangt zu sein. Obwohl es schon verblüffend war, gestern im Veiðileysufjörður gleich 2 Clohütten vorzufinden – auf jeder Seite der Lónhorn-Ófæra eine.

Angenehm waren die vielen Furten heute – 5x musste ich mir die Watschuhe anziehen. Und jedesmal war es bei der Affenhitze (sic! ich ging im Unterleiberl) sehr erfrischend.

Bin neugierig, wie das Wetter morgen wird, nachdem sich der Himmel jetzt am Abend wieder weitgehend verzogen hat.

So, und heute finde ich endlich wieder einmal Zeit, um in meinem Buch weiterzukommen.

 

Ganz klein an der Küste der alte Hof Kvíar vom Meer aus gesehen

 

 

Samstag, 16. 7. 05

Sópandi/Lónafjörður.

 

Die paar blauen Flecken am Himmel, die ich beim Aufstehen gesehen habe, haben sich nicht durchgesetzt > heute ist das Wetter grau und zum Teil regnerisch. Der Wind bläst kalt, und der Nebel hat sich wieder schwer über die umliegenden Bergrücken gelegt.

Nach meinem Plan wollte ich bei der Morgenebbe (ca 8Uhr40) die Ófæra auf dem Weg zum Fjordinneren des Lónafjörður packen, und dann hier – beim Einbúi, der hier wirklich alles beherrschend ist – die eigentliche Waterei bei der Abendebbe (ca 20Uhr40) machen. Auf die Weise, dachte ich, kann ich schon vorsondieren. Und ich wollte ja auch die Schönheit des Fjords genießen (die Robben, Seeadler etc.)

Die morgendlichen Ófæras (es waren mehrere kleine) waren aber alle harmlos – entweder nur bei Hochstand der Flut ein Problem oder leicht am Grashang umgehbar. Wenn ich das gewusst hätte (aber nach der Erfahrung mit dem Lónhorn bin ich vorsichtig), wäre ich früher gestartet. Dann hätte ich nämlich noch die gesamte Waterei am Vormittag bewältigt. So bin ich erst um ca. 11Uhr in die Rangalibucht gekommen. Und da haben die Riffe noch so schön begehbar ausgeschaut, dass ich die Watschuhe angezogen hab und Richtung Miðkjós (=mittlere der 3 Buchten hier) losmarschiert bin. Weiter hab ich mich dann angesichts der fortgeschrittenen Zeit doch nicht getraut und hier mein Zelt aufgeschlagen – so hab ich's wenigstens schön warm beim Schlafen. Eigentlich wollte ich „Warten“ schreiben statt Schlafen, aber ich hab tatsächlich gleich einmal geschlafen, wie ich angekommen bin. Bin ja auch seit 4Uhr Früh auf.

Schön ist es hier tatsächlich. Der Einbúi ist sehr markant, sieht ein bissel aus wie die Bischöfsmütze von einem vierschrötigen Bischof. In Rangali sieht's sehr eng und steil aus, in Miðkjós geht's ebenfalls steil die Berghänge hinauf, und Sópandi ist auch ziemlich eng. Wild wirkt es hier. Von der Tierwelt hab ich aber noch nichts Besonderes bemerkt. Auf dem Herweg bin ich 2 drolligen, flauschigen, kleinen Füchsen begegnet, die etwas ängstlich gebellt haben bei meinem Anblick. Dann hab ich das Bellen nur noch weiter oben vom Hang her gehört. Es gibt ein paar Enten, vereinzelte Möwen. 2 Schwäne haben mich eine Zeitlang am Wasser begleitet und dauernd diese Laute ausgestoßen, die so eine Mischung zwischen den Schreien kleiner Kinder und dem Quietschen einer rostigen Türangel sind. Aber Robben hab ich noch keine gesehen. Wohingegen vorgestern im Veiðileysufjörður bei der Ankunft sofort 2 kleine Robben – vermutlich Junge – neben mir im Wasser herumgeturnt sind und neugierig geschaut haben, wie ich mich beim Lónhorn anstelle.

Und Seeadler – bei meiner Ankunft hier hab ich kurz hoch oben einen Vogel kreisen gesehen. Aber bevor ich noch den Gucker nehmen hab können, ist er schon hinter der Bergkante verschwunden. Könnte aber genauso gut eine große Möwe gewesen sein.

Jedenfalls bin ich froh, dass ich bei Ebbe dann von Miðkjós aus starten kann und zu dieser heiklen Stelle, die angeblich sehr tief werden kann bei fortgeschrittener Zeit, früher hinkomme. Insgesamt scheint die Waterei hier wesentlich harmloser zu sein, als ich gedacht habe. Aber auf Hornstrandir soll man nie was verschreien, bevor man nicht den Ausgang der Sache kennt – wie oft schon hab ich geglaubt, ich bin eh schon den Hang unten, und dann kam noch eine Steilstufe; oder die Ófæra ist vorbei, und dann kam ausgerechnet die hundigste Stelle...) Trotzdem dürfte der Weg über den Mánafell, der ja unmarkiert ist, das größere Problem werden, wenn sich an dem Nebel nix ändert.

Falls es heute noch aufklaren sollte am Abend (was hier oft sehr schnell gehen kann), hab ich jedenfalls schon alles vorbereitet, um heute noch losgehen zu können. Und falls morgen der Nebel genauso dicht bleibt, werde ich wohl erst mal im Zelt abwarten. Werden sehen...

22Uhr45: Die „Plantscherei“ rund um den Einbúi ist überstanden. Aber sie ging an die Grenzen dessen, was ich mir zumuten kann/will. Nicht, dass sie gefährlich gewesen wäre. Aber saukalt. 1 ¾ Stunden lang mit den dünnen Watschuhen über glitschige Algen, spitze Steine und Felsen und vor allem durch eiskaltes Wasser. Immer wieder Wasser. Und selbstverständlich konnte ich die Hose nicht genug hinaufkrempeln. Sie wurde wieder nass. Gott sei Dank nur bis zum Oberschenkel, nicht wie vorgestern bis über den Hosenboden hinaus.

Obendrein hat es geregnet, bzw. regnet es immer noch. Ein kalter Wind hat gepfiffen. Und am Ende der Waterei waren meine Finger so klamm, dass ich die Knoten, mit denen ich meine Schuhe zusammengebunden hatte, nur noch mit den Zähnen aufbrachte. So jämmerlich kalt war mir schon lange nicht mehr.

Bei Überwindung der letzten Schikane, dieser kleinen Bucht, in der das Wasser so tief werden kann, hab ich sogar Robben gesehen bzw. verscheucht. Genießen konnte ich den Anblick aber nicht.

Hier in Sópandi könnte es bei Sonnenschein recht hübsch sein. So sehe ich nur den immens steilen Hang vor mir, über den ich morgen hinaufkräulen muss. Den muss ich noch studieren, um überhaupt einen gangbaren Weg zu finden. Aber viel Wahl hab ich ja nicht. Der einzige andere Weg hier raus (außer zurück durchs Meer, aber das kommt nicht in Frage) wäre über den Þrengsli in die Barðsvík. Und das wäre vermutlich keine Verbesserung. Jetzt hoffe ich, dass wenigstens morgen das Wetter besser ist.

Irgendwie reicht's mir jetzt. Irgendwie hab ich genug und würde die Natur gern von einer sanfteren Seite her genießen.

 

Begenung mit einer Robbe

 

 

Sonntag, 17. 7. 05

Sópandi/Lónafjörður.

 

In der Nacht war mir noch furchtbar kalt – bis ca. 3Uhr. Ich hab alles angezogen, was ich hatte, sodass mein Oberkörper ein dichtgepresster Klumpen Wäsche war. Trotzdem, es reichte nicht. War ich so ausgefroren, oder war es so kalt? Aber Eisschicht hatte ich jedenfalls in der Früh keine auf meinem Zelt (so wie einst Clife in Hornvík). Und in Látravík hab ich die 5Grad ja auch problemlos ausgehalten.

Wie auch immer, jetzt ist mir wieder warm. Und auch die Psyche hat sich einigermaßen erholt. Nur das Wetter ist mies. Es regnete die ganze Nacht durch (ich weiß das, weil ich in Halbstundenabständen aufgewacht bin), und es macht auch jetzt keine Anstalten aufzuhören. Wenn ich den Hang vor meinem Zelt hinaufschaue, ist es zwar nebelfrei. Er schaut auch nicht mehr so bedrohlich steil aus wie gestern. Aber ringsum auf den Bergen hängt unverändert der Nebel. Ich werde also vorerst weiter hier im Zelt bleiben – vielleicht sogar einen ganzen Tag, wenn's sein muss. Immerhin kann ich mich hier der Länge nach ausstrecken. Und wenn ich sitze, muss ich nicht einmal den Kopf einziehen.

12Uhr10: Dass es so viel regnen kann, ohne Unterbrechung...

13Uhr45: Nun ist auch noch heftiger Wind aufgekommen, und der Regen wird immer ärger. Ich werde erleichtert sein, wenn ich zumindest wieder eine Nothütte in greifbarer Nähe habe.

14Uhr50: Der Regen hat fast aufgehört, dafür ist der Wind unverändert heftig, und der Nebel hat sich noch tiefer ins Tal hereingelegt.

16Uhr30: Die Nebelschwaden ziehen den Hang herunter, es nieselt leicht. Die fliegende Ameise in meinem Zelt ist fast schon wie ein Haustier – das einzige lebende Wesen, zu dem ich Kontakt habe.

18Uhr40: Vorhin hab ich einen Hauch von Sonne (oder besser gesagt etwas hellerem Licht) durch die Wolken schimmern gesehen. Der Wind hat zwar gleich wieder neue Wolken drübergeschoben. Aber vielleicht ist ja doch morgen besseres Wetter??? (Es bläst und nieselt immer noch, und nebelig ist es auch.)

Mittlerweile hab ich die morgige Route auf der Karte zum xten Mal studiert. Mit Kompass und GPS sollte sie machbar sein. Was mich irritiert, ist, dass meine Kompassberechnungen mit denen im Guide überhaupt nicht übereinstimmen. Ich vermute ja, dass Gísli Hj. irrtümlich die beiden Kompasswinkel vertauscht hat (denn dann würde es mit meinen Messungen zusammenpassen). Sicher bin ich mir aber angesichts meiner jungfräulichen Erfahrungen in diesem Bereich nicht.

 

 

Montag, 18. 7. 05

Sópandi/Lónafjörður.

 

Eigentlich hatte ich Schlafsack und alles schon eingepackt und war fest entschlossen, trotz Regen und Nebel loszustarten (meine Essensvorräte reichen ohne Rationierung bestenfalls bis morgen früh). Aber dann kam ein neuerlicher Schwall Intensivregen. Und ich mag einfach nicht. Bzw. denke mir, warum soll ich das Risiko einer Nass&Nebeltour auf mich nehmen, wenn ich die Möglichkeit hab, bis morgen im Zelt zu warten?

Trotzdem hoffe ich, dass es heute noch besser wird und ein Start heute möglich sein wird (es sieht aber gar nicht danach aus).

Eigentlich geht es mir ja gut. Das Wetter ist nicht wirklich extrem, sodass mir das Zelt guten Schutz bietet. Die letzte Nacht war auch nicht so kalt (oder ich nicht so durchfroren). Lediglich die Bewegungsfreiheit im Zelt ist ziemlich eingeschränkt. Und die Nahrung? Solange ich nicht unterwegs bin, kann ich eigentlich fasten, sodass ich mir meine verbleibenden Kalorien (2 Müsliriegel, 2/4 Notration, 1 Abendessen, 1 Suppe) für die Mánafell-Querung aufheben kann.

Trotzdem hoffe ich auf baldige Wetterbesserung.

12Uhr10: Es regnet zwar immer noch, und der Nebel liegt im Tal. Aber soeben hab ich das Rund der Sonne durch die Wolken durchschimmern gesehen. Das gibt Hoffnung.

15Uhr30: Es hat zu regnen aufgehört, und der Nebel hat sich weiter nach oben zurückgezogen (was für mich aber nicht reicht – ich muss schließlich auf 420m hinauf). Allerdings ist der Himmel an manchen Stellen sehr hell.

Ich habe die freundlicheren Gegebenheiten gleich genutzt, um mich endlich wieder zu waschen. Denn bis jetzt hatte ich jeden Tag die Körperstellen, die in jedem isländischen Bad gekennzeichnet sind, gewaschen. Egal, wie kalt es war. Das war erfrischend. Und ich denke, es ist auch nur so möglich, mit so wenig Gewand auszukommen. Lediglich die Füße hab ich mir erspart – die kommen ohnehin bei jeder Furt dran.

Gestern hab ich allerdings eine Ausnahme gemacht. Da war ich froh, wenn ich die Pinkel-Ausgänge halbwegs trocken überstanden habe.

Nun bin ich also frisch gewaschen, bin dann noch ein bissel am Strand spazierengegangen. Ein Fuchs ist mir begegnet, eine Schwanfamilie mit 4 Jungen, die unvermeidlichen Enten, ein paar Möwen und – es könnten theoretisch 2 Seeadler gewesen sein, die da gekreist sind – jedenfalls 2 relativ große Raubvögel.

Das Kleingetier tummelt sich auch bereits wieder frisch und fröhlich in meinem Zelt – Fliegen, Schmetterlinge, fliegende Ameisen... Und ich kann ein paar blaue Flecken am Himmel erkennen. Was den Nebel aber nicht daran hindert, weiter auf den Bergrücken herumzuhängen.

17Uhr40: Es nieselt wieder, und alles ist in eine Watte aus Wolken und Nebel gepackt. Aber es stört mich nicht. Ich vertraue darauf, dass sich die Sonne morgen oder übermorgen endgültig durchsetzen wird.

Wow, die Sonne ist tatsächlich durchgekommen (ein bissel). Es ist zwar noch fast gänzlich bewölkt, aber der Nebel hat sich fast ganz zurückgezogen. Trotzdem mag ich heute nicht mehr aufbrechen, da es schon 19Uhr40 ist und man angesichts des fortgeschrittenen Datums bereits bemerkt, dass es gegen 23Uhr finsterer wird. Ich hoffe sehr auf morgen.

20Uhr35: Ich musste das Zelt aufmachen. Es steht zwar leider nicht so, dass die Sonne direkt bei der Tür hereinscheinen kann. Aber so sehe ich wenigstens – nach 3 Tagen Regenwetter – die sonnenbeschienene Wiese.

Hab wieder zugemacht, weil es am Abend doch empfindlich kalt ist.

Die Situation einfach annehmen. Das erst ermöglicht es, Vertrauen aufzubauen, dass es eh positiv endet. Es ist immer wieder dieselbe simple Abfolge, und trotzdem immer von Neuem eine Herausforderung.

Auch die Vögel zwitschern wieder eifrig. Und mein Zelt ist heute ein Massenquartier für zig kleine Fliegen, die ich nicht los werde. Naja, solang sie sich ruhig verhalten...

23Uhr: Dieser Scheißnebel hat schon wieder alles überzogen. Nur ganz hinten, beim Fjordausgang, seh ich noch ein Stück hellere Wolkendecke. Aber sich jetzt zu ärgern, dass ich vorhin nicht gleich losmarschiert bin, bringt auch nix. Außerdem – warten wir mal ab, was der Morgen bringt. Jetzt werde ich mir aber trotzdem noch die Suppe kochen, nachdem ich bei Ibn Arabi gelesen habe, dass man Verpflichtungen gegenüber dem eigenen Körper hat. Er hat sogar explizit das Beispiel Hunger angeführt ;-))

...

Zorn und Verzweiflung.

Eine Einsamkeit, die bis ins Mark geht.

Zornig hab ich den Weberknecht zerdrückt, den 10. oder 20., der in meine Schuhe kräulen wollte. Ich hasse die Fliegen in meinem Zelt. Oder präziser gesagt, sie nerven mich.

Es ist 0Uhr45, und schlafen kann ich auch nicht.

 

 

Dienstag, 19. 7. 05

Hrafnsfjörður.

 

Ich sitze in der Nothütte, satt nach dem angenehmen Mittagsmahl, schlürfe heißen Tee, hab meine nassen Füße auf die Bank gelegt und in eine Decke gewickelt und fühle mich so frei. Nach dieser engen Sópandi-Bucht erscheint mir der Hrafnsfjörður so unendlich großzügig und weit. Auch das Fresspaket war (fast) unversehrt > siehe voller Bauch. Leider ist trotz x Verklebungen des Müllsackes Nässe in die Schachtel eingedrungen. Das Clopapier hat's Gott sei Dank nicht erwischt (das ist Mangelware). Bei den meisten Dingern im Alupack war's sowieso wurscht. Nur die köstlichen Maulbeeren haben was abgekriegt. Was zur Folge hatte, dass ich das halbe Sackerl auf einen Sitz aufessen musste ;-)) Schlecht waren die Feuchten nämlich nicht, ganz im Gegenteil; das wird also vermutlich erst während der Regengüsse in den letzten Tagen passiert sein.

Aber zurück zu Sópandi. Ich öffne also in der Früh das Zelt, und es regnet + der Nebel hängt über den Bergrücken. Diesmal hab ich mich aber nicht irritieren lassen und bin losmarschiert. Und welch erfreuliche Überraschung: der Weg war ganz leicht zu finden; a) ist der Weg kurz und die Landschaft topografisch sehr eindeutig; ich wusste also auch ohne Hilfsmittel allein anhand der Karte meistens, wo ich mich grade befand; b) hatte ich Recht > meine Kompasswinkel stimmten und die von Gísli Hj. im Guide waren vertauscht; es ist da oben wirklich sehr einfach, mit zwei Kompassrichtungen zu gehen; c) waren die GPS-Punkte genau genug, um ausreichend Orientierung zu bieten; ärgerlich war nur, dass das Gerät mindestens die Hälfte der Zeit nach „clear sky“ schrie und somit nur bedingt brauchbar war; um mich in meinen Kompasskünsten zu bestätigen, dafür reichte es aber; d) als ich am höchsten Punkt der Route angelangt war, trat wieder jener seltsame Effekt in Kraft, den ich schon bei der Hvannadaltour erlebt hatte: die Sonne kämpfte sich durch die Wolken und schien immer grade dort (schwach), wo ich mich befand. Hinter/über/vor/unter mir hingegen schloss sich der Nebel. Erst ganz unten, in der Skál auf Hrafnsfjörðurseite, wurde die Sicht insgesamt besser.

Fazit: die Herumhockerei in Sópandi hätt ich mir sparen können. Rückblickend bleibt nur zu sagen, dass ich mich da offensichtlich in einem stuckstate befunden hab, hervorgerufen durch die extrem kalte Plantscherei um den Einbúi und diverse Nebelerlebnisse der vergangenen Tage.

Und mein Zorn galt wohl eigentlich mir selbst, weil ich den Sonnenschein am Abend nicht gleich genutzt habe. Das mit dem Dunkelwerden war eine faule Ausrede. Ab 23Uhr kann ich im geschlossenen Zelt ohne Taschenlampe kaum noch lesen. Aber draußen sieht man noch recht gut. Nein, ich war einfach müde, nicht mehr auf Gehen eingestellt und wollte außerdem unbedingt noch die nächsten Kapitel von Ibn Arabi lesen.

Geschämt hab ich mich, dass ich diesen armen Weberknecht zertreten habe. Da fürchtet man ums eigene Sein und zerstört achtlos das eines anderen Wesens... Grundlos. Dafür haben die Fliegen, die ich nicht einmal beim Zeltabbauen herausscheuchen konnte, die Tour über den Mánafell trotz Nässe und Plastikverpackung teilweise überlebt. Beim Zeltaufbauen haben sie sich ein bissel geschüttelt und sind etwas belämmert weitergekrochen.

Apropos Zelt: bis auf den kleinen Mangel, dass es bei Regen bei dieser Guckfenster-Naht hereintropft, ist es super. Wenn man es nass abbaut und dann wieder aufstellt, bleibt das Innenzelt trotzdem großteils trocken. Und heftige Winde und Regengüsse hat es ja schon zur Genüge ausgehalten.

Aber noch ein Gedanke zu Sópandi: Eine Wanderung wie diese ist einfach nicht nur Naturgenuss, sondern vor allem auch Grenzerfahrung. Du lernst dich selbst in Grenzsituationen kennen, mit dem Effekt, dass du teils über dich hinauswächst, teils aber auch – wie in Sópandi – halt eine ziemlich jämmerliche Seite von dir kennenlernst. Aber man kann ja aus allem lernen...

Und obwohl das Wetter nach wie vor feucht und nebelig ist, freu ich mich schon auf den Reykjardjörður. Auf das warme Bad, darauf, wieder Leuten zu begegnen. Und das Wandern tut auch viel besser als die Herumliungerei im Zelt. Überhaupt freue ich mich, dass es mir körperlich so gut geht. Bis auf die eine oder andere etwas schlechtere Tagesverfassung bin ich total gut drauf. Meine Beine werden von Tag zu Tag kräftiger, die Hüfte fühlt sich wohl, die Knie machen auch keine Probleme. Und als angenehmen Nebeneffekt empfinde ich, dass ich mich jetzt endgültig wieder jener Figur nähere, die ich jahrzehntelang hatte und die nur durchs Rauchenaufhören etwas aus den Fugen geraten war. Sogar der Ausschlag auf meiner Hand ist dank regelmäßiger Behandlung mit Bepanten schon wieder viel besser.

Nachtrag zum stuck state: Dazu hat wohl auch beigetragen, dass im Lónafjörður bzw. über den Mánafell wirklich keine Menschenseele vorbeikommt, die helfen könnte. Wohingegen hier zwar zur Zeit auch alles menschenleer ist. Aber im Nothütten-Gästebuch hat es seit meiner Eintragung am 30. 6. bis heute immerhin 3 weitere Eintragungen gegeben.

...

Es geschehen doch seltsame Dinge: kommt ein einsamer Jüngling vorbei und erzählt, er will morgen über den Mánafell nach Sópandi. Ich, versteht sich, hab sofort meine Erfahrungen zum Besten gegeben (nicht das mit dem stuck state...). Dafür hat er erzählt, dass er vom Leirufjörður kommt. Er sei weiter innen gewatet als auf der Karte eingezeichnet (wie der Útivist-Guide das beschrieben hat), von „Insel zu Insel“. Es sei ziemlich kalt gewesen, und das Wasser sei ihm teilweise bis zum halben Oberschenkel gegangen. Der letzte Fluss auf Kjósar-Seite sei überbrückt gewesen. Jetzt geht er noch weiter auf die andere Seite des Hrafnsfjörður, um für morgen eine gute Ausgangsposition zu haben.

...

Memo: Heut hab ich mir gedacht, vielleicht sollte ich doch einen dieser Alpenvereinskurse über den Gebrauch des Kompasses besuchen, damit ich sicherer werde im Umgang mit diesem Ding. Auf der anderen Seite könnte man das wahrscheinlich genauso als Teilnehmerin einer der anspruchsvolleren isländischen Wandergruppen lernen.

 

Hrafnsfjörður

 

Algen im Meer

 

 

Mittwoch, 20. 7. 05

Reykjarfjörður.

 

Ich sitze hier im Reykjarfjörður in meinem Zelt und schlürfe heißen Tee. Vor mir liegt der Geirólfsnúpur. Die Meeresbrandung mischt sich mit dem Geschrei der Krías (Seeschwalben), die hier besonders aggressiv sind. 2 sind mir heute tatsächlich physisch gegen den Kopf geflogen bei ihren Angriffsflügen – eine machte eine weiche Bauchlandung auf meinem Kopf, die andere fuhr mir mit den Krallen in die Haare. Und eine dritte hat einem der Bewohner hier tatsächlich auf den Kopf geschissen. Gott sei Dank hatte er eine Mütze auf.

Vorhin war ich ungefähr 2 Stunden im Schwimmbad, hab die dampfende Wärme genossen, die Abendsonne, die dem Grün der Wiese und den Löwenzahn-Samenkugeln einen goldig warmen Schimmer gab. Und natürlich der Gletscher, Drangajökull, der hier alles beherrschend hinten das Tal überragt, so er sich nicht gerade in Nebel hüllt. Und um die leiblichen Genüsse zu vollenden: morgen bekomme ich frisch gebackenes Brot!

Wie ich in der Früh – nach einer mühsamen Nacht mit oftmaligem Aufwachen – aufgestanden bin (5Uhr), war es saukalt. Ich hab dann auch beim Gehen lange Zeit Pullover + Anorak + Fäustlinge angehabt, trotz Bergaufgehen und Schlepperei. Dafür waren über dem Fjord die schönsten Lichtstimmungen. Der Himmel war blau, und der Wind trieb die Nebelschwaden vor sich her, was eine seltsame Mischung zwischen Sonne und Verhülltsein ergab. Fein, dachte ich mir, heute wird ein schöner Tag, und der letzte Nebel wird bald weg sein. Dachte ich. Je weiter ich nämlich zur Skorarheiði hinaufstieg, desto dichter wallte der Nebel von der drüberen Seite (Furufjörður) herüber. Und bald sah ich überhaupt nur noch ca. 20-30m im Umkreis. So dicht war er schon lange nicht mehr. Und er blieb so dicht.

Aber heute war ich gut drauf. Heute störte es mich (fast) nicht. Vielleicht half dabei, dass trotz extrem eingeschränkter Sicht irgendwie die Sonne von oben durchzuschimmern schien. Es wurde dann auch bald relativ warm und windstill. Und ich tastete mich auf meinem unmarkierten Abschneider hinüber Richtung Svartaskarð. So vermied ich nämlich, dass ich in den Furufjörður hinunter und beim Svartaskarð erst recht wieder hinauf musste.

Die Orientierung war, wie der Útivist-Guide gesagt hatte, sehr leicht. Ich musste nur die gleiche Höhe einhalten, dann konnte nichts schief gehen. Bei der Orientierung kommt es offenbar darauf an, ein herausstehendes Merkmal zu identifizieren, das besonders charakteristisch für eine Strecke ist, und das als Hauptorientierung zu nehmen. So wie die 2 Kompassrichtungen beim Mánafell. Natürlich hatte ich auch wieder das GPS dabei, das aber wieder die Hälfte der Zeit nach „clear sky“ verlangte.

Was mich auch sehr entspannt sein ließ, war die Tatsache, dass dieser Weg nicht gänzlich unmarkiert war. Mir ist aufgefallen, dass bei all diesen „unmarkierten“ Wegen ab und zu doch kleine Steinmänner stehen, oft nur 3-4 Steine übereinander. Viel zuwenig, um sich nur danach zu orientieren. Aber eine nette Bestätigung > du bist richtig. Beinahe stolz war ich, als ich eine gute Stelle zum Furten des Furufjarðarós suchte (der ist dort oben zwar noch ein relativ schmaler Gletscherbach, kommt aber trotzdem ganz schön heftig daher). Und als ich schließlich eine geeignete Stelle fand, entdeckte ich genau dort ein Steinmandl.

Ich hab dann auch problemlos den Weg zur Svartaskarð gefunden und war verblüfft, dass diese Skarð so harmlos war, nachdem sowohl Guide als auch Bärbel so vor deren Steilheit gewarnt hatten.

Aussicht gab es leider keine. Der Nebel war unverändert dicht. Erst als ich in den Þaralátursfjörður hinunter kam, wurde die Sicht etwas besser.

Ich hätte mir nie gedacht, dass der Þaralátursfjord so schön ist! In der Mitte der Gletscherfluss, der alles überströmend in einer Vielzahl von Mäandern und Verzweigungen den ganzen Talboden beherrschte. Das Wasser war milchig weiß und ziemlich heftig beim Furten. Rechts und links relativ felsige, unten mit kurzem Gras bewachsene Hänge. Im Talgrund der skurrile Buckel des Óspakshöfði. Und hinten im Talabschluss die Ahnung eines Wasserfalls. Darüber Nebel statt Gletscher.

Sehr liebevoll war der ganze Weg von der Svartaskarð über den Þaralátursós bis hinüber in den Reykjarfjörður markiert. Und nun kam auch immer stärker die Sonne heraus. Der Nebel verzog sich immer mehr, je weiter ich auf den Reykjarfjarðarháls hinauf kam. Bald konnte ich den Geirólfsnúpur erkennen. Schließlich lag der Reykjarfjörður sonnenüberstrahlt vor mir. Und im Talabschluss zeigte sich der Drangajökull in voller Pracht.

Es hat dann noch ziemlich lange gedauert, bis ich die Häuser im Reykjarfjörður tatsächlich erreicht habe. Und ich war so hungrig, dass ich bei der Ankunft gleich ein doppeltes (!) Menü aß (hab eines überzählig seit meinem „Fasttag“ in Sópandi) + Suppe + kandierten Ingwer + einen dritten Müsliriegel. Das nächste war dann gleich der Weg in den Pool. Und nun ist alles an mir und in mir rundum zufrieden und glücklich.

Ach ja, in der Früh hab ich noch ein paarmal an den Jüngling gedacht und wie es ihm wohl gehen wird. Mir ist nämlich im Nachhinein eingefallen, dass ich so großartig geredet hab davon, dass das Waten beim Einbúi zwar unangenehm, aber nicht schwierig sei. Und dass man immer genau sehen könne, wo man gehen müsse. Und dabei hab ich ihn gar nicht gefragt, ob er überhaupt weiß, wie die Gegend dort beschaffen ist (also das mit den 2 Grasinseln, die auf den Riffen liegen, und dass man dort ja nicht versuchen soll, am Ufer zu gehen). Ich hoffe sehr, dass er's gut gepackt hat, und hab mir gedacht, beim Ratgeben muss man verdammt aufpassen, dass der andere entweder das gleiche Level hat, oder dass man sich bewusst auf das Level des anderen einstellt.

Ich muss noch einen Nachtrag machen: Der Geirólfsnúpur und der Sigluvíkurnúpur sind ins Abendlicht getaucht und glühen warm und rötlich. Der Geirólfsnúpur hat rechts noch einen kleinen Nebelfetzen als kecken Aufputz. Und das alles vor meiner Zelttür...

...

Jetzt ist es schon 2Uhr Früh. Aber ich bin immer noch wach und hab mir grade einen Tee gemacht. Der Abend war so mild und die Stimmung so schön, dass ich einfach noch losmarschiert bin entlang der Þaralátursnes. Ich wollte die Veränderung von der Abend- in die Morgenstimmung beobachten. Und tatsächlich – so gegen 1Uhr hab ich bemerkt, dass über dem Gletscher ein zartes Blau sichtbar wurde. Himmel, Wolken und Meer wechselten von Orange-, Rot- und Gelbtönen in ein silbriges, fast milchiges Grau. Und der Himmel wird jetzt auch an anderen Stellen zartblau, mit einem ganz hellen Gelb dazu. Und einzelne Wolken (die höhere der beiden Schichten) sind in ein sanftes Rosa mit leichtem Gelbstich getaucht. Ein großer Teil des Himmels ist aber klar, sodass ich guter Hoffnung bin für morgen. Allerdings wäre es nicht Hornstrandir, wenn da nicht auch die Nebelfetzen schon wieder wie Würmer durch den Fjord kriechen würden. Einer schlängelt sich gerade wie ein Bandlwurm über die Schulter des Geirólsnúpur und biegt sich dort, wo die Klippen steil ins Meer abfallen, nach unten.

Wie ich zum Zelt gekommen bin, sind 3 von meiner Nachbarsgruppe noch gesessen und haben geredet. Die haben offenbar Nachholbedarf. Es handelt sich um eine international zusammengewürfelte Gruppe von Trainern, die experimentell mit psychisch geschädigten Kindern (Drogensüchtigen und Kriminellen) arbeiten. Sie sind aus Belgien, Litauen, Polen, Tschechien. Und der eine von ihnen hat mir erzählt, dass sie 4 Tage lang schweigend (!) als Experiment und Selbsterfahrung von der Hornvík hierher marschiert sind. Abgesehen vom schlechten Wetter, sagte der Belgier, sei es für ihn einfach gewesen, weil er oft Trainings mit Jugendlichen oder auch Managern im alpinen Terrain macht. Aber da waren 2 dabei, die sind noch nie mit Rucksack und Zelt in den Bergen unterwegs gewesen.

Nun ist fast der ganze Himmel frei. Nur dort, wo noch Wolken sind, sind diese plötzlich in glühendes Rot – zum Teil mit gleißenden gelben Rändern – getaucht.

Und ich fresse mich in Erwartung des morgigen Brotes durch meine Müsliriegel, als ob ich kurz vor dem Verhungern stehen würde.

 

Skórardalur

 

Blick auf Svartaskarð

 

Drangajökull

 

 

Donnerstag, 21. 7. 05

Reykjarfjörður/Geirólfsnúpur.

 

Kommt heute abend Björn, der isländische Guide dieser Trainergruppe, auf mich zu.

Björn: Wie war deine Tour?

Ich: Schön. Wegen dem vielen Nebel bin ich allerdings nicht zum Gletscher hinaufgegangen, sondern auf die Fossadalsheiði, von dort zum Geirólfsnúpur und am Meer entlang zurück.

Er (ist offenbar beeindruckt, dass ich nicht nur markierte Pfade gehe, sondern auch bei Nebel wild querfeldein): Es ist beachtlich, dass du das alles alleine gehst.

Ich: Das ist nicht so aufregend (in Wahrheit gibt es jeden 2. oder 3. Tag eine Situation, vor der ich Schiss habe). Ich habe ja GPS und Kompass (meine Kompasskenntnisse sind halt nur dürftig, und das GPS schreit immer wieder nach clear sky). Außerdem bin ich schon als Kind viel in den Bergen unterwegs gewesen (als Kind schon, aber dann jahrzehntelang fast nicht mehr).

Er: D.h. dann hast du ja alle Fähigkeiten, die du brauchst.

Ich (in einem Anflug von Bescheidenheit): Ich hoffe es. (Weil ich mir dann aber denke, dass ich doch zu lässig getan habe, füge ich hinzu:) Der Fluss war ziemlich tief beim Furten am Rückweg.

Er: Wie tief?

Ich (zeige bis zum Unterbauch)

Er (schaut ein bissel skeptisch und ist offenbar der Meinung, dass ich übertreibe): Das war sicher kalt.

Ich: Allerdings.

 

Bin heute früh also um 6Uhr – nach nicht viel mehr als 3 Stunden Schlaf – aufgewacht, weil es im Zelt so heiß war. Die Sonne hat nämlich voll draufgeschienen. Ich öffne den Reißverschluss, sehe den strahlend blauen Himmel und beschließe trotz kurzer Nacht gleich aufzustehen. Schließlich weiß man in Island nie, wie lange schönes Wetter hält. Und ich wollte ja heute auf den Gletscher gehen.

Als ich Lilla, die isländische Hausfrau hier, nach den Bedingungen auf dem Gletscher und bezüglich der Furt über den Reykjarfjarðarós frage, meint sie zunächst: „Heute wird es dunkel. Denn rechts und links in den Nachbarfjorden liegt überall dichter Nebel. Nur hier im Reykjarfjörður scheint noch die Sonne.“ Tatsächlich sieht man bereits die Nebelschwaden rechts und links über die Begrenzungsberge des Fjords wallen.

Bezüglich meiner Tour wird dann die ganze Familie zu Rate gezogen. Die Mutter weiß genau, wo man auf die Hrolleifsborg hinaufgeht (stimmt exakt mit den Angaben im Guide überein). Über den Gletscher empfehlen sie mir nicht zu gehen, weil er heuer ganz offen (ohne Schneedecke) daliegt und viele Sprünge hat. Und dann bietet mir der Vater an, mich mit seinem Geländefahrzeug bis zur Furt zu führen und mir zu zeigen, wo man am besten durchwatet. Der Reykjarfjarðarós sei nämlich heuer besonders schwierig zu furten, sagt er. Normalerweise reiche das Wasser bis zu den Knien, heuer aber bis zur Mitte der Oberschenkel. Beim Fluss selbst watet er hinein, um die Lage zu sondieren. Bei Gletscherflüssen sieht man nämlich wegen der milchig-braunen Farbe überhaupt nicht, wie tief sie sind. Und die Furt, die er für mich ausfindig macht, ist wirklich gut. Das Wasser reicht maximal bis zum Knie.

Ad Tour siehe oben Dialog. Wie ich am Spätnachmittag zurück zur Furt komme, gehe ich beim Hauptarm mit der Hauptströmung an 3 Stellen hinein und kehre jedesmal wieder um, weil es mir zu tief und reißend wird. Im Kopf habe ich die Furtbeschreibung von Dieter Graser aus dem Internet, wo er davor warnt, in Gletscherflüssen zu furten, wenn dabei die „edleren Teile“ nass werden, weil der Wasserdruck dann schon so groß ist, dass es einem die Füße vom Grund wegreißen kann.

Was also tun? Ein völlig andere Stelle mag ich nicht ausprobieren, da ich annehme, dass diese hier ohnehin noch vergleichsweise gut ist und die schlechten Bedingungen darauf zurückzuführen sind, dass Gletscherflüsse am Nachmittag oft deutlich mehr Wasser führen als am Vormittag.

Ich beschließe, beim nächstenmal durchzugehen, auch wenn es tiefer wird. Schließlich kann ich nicht einfach nicht hinübergehen. Ich starte los, das Wasser reicht bis zum halben Oberschenkel. Die Strömung ist so stark, dass ich die Zehen in den Boden kralle, um ihr standzuhalten. Und wenn ich die Stöcke nach vorn setzen will, ist es fast unmöglich, weil das Wasser sie wegtauchen will.

Ich gehe weiter, mit aller Anspannung, und bin schon 1m vor der Sandbank in Flussmitte, wo's dann leichter werden sollte. Nur – es wird noch tiefer. Nun reicht mir das Wasser schon bis an die Unterhose. Und durch die Bugwelle, die ich mit meinem Körper erzeuge, schöpft auch die Hüfttasche Wasser. Die Wanderhose hatte ich ja glücklicherweise ausgezogen.

Nur nicht wegreißen lassen, denke ich. Umdrehen ist bei einer derart starken Strömung auch kein Lercherl. Also versuche ich 2-3 Schritte flussaufwärts zu gehen in der Hoffnung, dass dort das letzte Stück zur Sandbank nicht ganz so tief ist. Ob es wirklich seichter wird, weiß ich nicht. Die Unterhose ist immer noch im Wasser. Aber nun krallen sich meine Zehen in die Lehmstufe, über die ich auf die Sandbank komme. Anschließend hab ich gezittert, und zwar nicht nur vor Kälte.

Bin dann 2 Stunden im Pool gewesen, um mich aufzuwärmen. Bei Nebel bzw. kälterem Wetter ist der Pool fast noch angenehmer. Heute hat er so gedampft, dass man zeitweise nicht einmal den gegenüberliegenden Beckenrand gesehen hat.

Wie ich zum Zelt zurückkomme, bemerke ich zu meinem Entsetzen, dass die Trainergruppe ein Lagerfeuer gemacht hat, dessen Rauch direkt auf mein 3-4m entferntes Zelt zieht.

Sie haben mich eingeladen, mich zu ihnen ans Feuer zu setzen. Und ich hab sogar köstliches gegrilltes Schweinefleisch mit Erdäpfeln und Melanzani bekommen. Anschließend hab ich halt den Ruß vom Zelt heruntergewaschen.

So, das war's für heute. Vielleicht noch der Hinweis, dass mein GPS-Gerät bei schlechtem Empfang nicht nur nach „clear sky“ schreit und Aussetzer hat, sondern manchmal auch die Richtung des aufgezeichneten Track einfach auf den Kopf stellt, sodass man ganz verwirrt wird und glaubt, man ist im Kreis gegangen. Was heute definitiv nicht der Fall war, weil ich in einem Tal bei ausreichender Sicht entlang des Flusses abwärts ging, als das wieder passierte.

>> Wird Zeit, dass ich einen Kompasskurs mache.

 

Geirólfsnúpur im Abendlicht ...

 

... und ein paar Stunden später

 

 

Freitag, 22. 7. 05

Reykjarfjörður/Þaralátursnes.

 

Ad Kosten: Campingplatz Reykjarfjörður pro Nase und Nacht Isl. Kr. 800,- inkl. Wasserclo + Poolbenutzung.

Brot+Käse+Hangikjött: Isl. Kr 1500,-

Die Alte ist zwar recht nett. Aber beim Geld ist sie gierig. Sie hat sie etwa sofort verneint, als Lilla mir für 4 Nächte einen Rabatt geben wollte. Bei der ersten Essensration hat sie mir bewusst um 100 Kronen mehr verrechnet (ich versteh schließlich Isländisch, hab aber nix gesagt). Und heute hat's 680 Kronen gekostet. Ich hatte es nicht klein, sie sah das und machte trotzdem keine Anstalten, mir herauszugeben. Ich bin halt dann einfach gegangen.

Dafür war der Alte so nett bei der Furt gestern. Und heute hab ich noch mit dem Jungen, Lillas Mann, geplaudert. Er sagt, ich muss eine falsche Stelle erwischt haben beim Furten, sonst hätte das Wasser auch am Nachmittag nicht so hoch sein dürfen. Und der Wetterbericht hat für die nächsten Tage schönes Wetter angesagt, mild, wenig Wind.

Ich werde also morgen doch noch einmal eine Furt auf mich nehmen und Richtung Hrolleifsborg und Gletscher marschieren. Falls das mit dem Wetter stimmt.

Heute war es ja herrlich. Der Himmel teilweise bewölkt, aber die Sonne schien fast den ganzen Tag, und die Wolken waren so hoch, dass nur der Gletscher fallweise ein Häubchen auf hatte. Und ich hab gefaulenzt, bin gemütlich den alten, steilen Weg auf die Þaralátursnes hinauf, hab von dort einen herrlichen Ausblick Richtung Bolungarvík etc. bis zum Hornbjarg gehabt und fast nostalgisch meine ersten Wanderungen hier nachverfolgt. Bin dann auf der Þaralátursfjordseite hinunter und hab die Nes umrundet. Vor allem bei den Hvítsandasker und den Bæjarrústir von Sel sind sehr idyllische Plätze – sattes Wiesengrün auf schwarzen Basaltfelsen, dazu sonnengelbe Hahnenfüße, bleiches Treibholz, weißer Sand, rotbraune Algen...

Und müde war ich wie schon lange nicht. Als ob die Müdigkeit der letzten 4 Wochen in meine Knochen gekrochen wäre. Bin ich halt langsam gegangen. Und jetzt, nach einem ausgiebigen Abendessen und einem Bad im Pool werde ich noch ein bissel lesen.

 

 

Samstag, 23. 7. 05

Reykjarfjörður/Hrolleifsborg/Drangajökull.

 

Es war, als ob mir Hornstrandir noch ein Abschiedsgeschenk machen wollte. Herrlichstes Wetter. Nachdem ich gestern schon um 20Uhr geschlafen habe, wache ich um 3Uhr auf, bewundere den Sonnenaufgang und ziehe um 4Uhr los in Richtung Hrolleifsborg/Gletscher. Bei der Furt über den Reykjarfjarðarós bin ich total relaxed. Mir ist klar, was für einen Fehler ich vorgestern gemacht habe: Ich hab zu weit oben gefurtet, wo sich der Hauptstrom in das Lehmufer der Sandbank eingegraben hat. Richtig ist es weiter unten, wo sich der Hauptstrom auf 2 neue Rinnen aufteilt. Beim Hinübergehen ist das leichter zu erkennen als in der umgekehrten Richtung. Aber ich hab mir's heute so gut eingeprägt, dass ich auch bei der Rückkehr am Abend, als das Wasser höher stand, keine Probleme hatte.

Während des Aufstiegs verzieht sich dann der Himmel. Über den Gletscher kriechen immer mehr Nebelfetzen. Zuerst ist die Hljódabunga vom Nebel verdeckt, dann die Reyðarbunga. Und schließlich kriechen auch über die Hrolleifsborg bereits Nebelfetzen. Als ich an ihrem Fuß ankomme (man muss sie umrunden und von hinten hinauf), habe ich bereits Sorge, ob ich von oben überhaupt was sehen kann. Aber wie durch ein Wunder ist nicht nur der Nebel weg, als ich oben ankomme. Auch die Wolken verziehen sich, sodass ich die großartige Aussicht bei herrlichstem Sonnenschein genießen kann. Man sieht wirklich bis zur Melrakkasletta im Osten, bis ins Hochland von Island und auf der anderen Seite bis Hornbjarg. Und natürlich überblickt man den gesamten Gletscher.

Wenn manche sagen, der Álfsfell sei der schönste Berg von Hornstrandir, sage ich: die Hrolleifsborg ist der Schönste. Ihr markanter, ebenmäßiger Aufbau, umgeben von Schnee und Eis. Und im Gegensatz zum Álfsfell kann man sie besteigen und die Aussicht genießen.

Der Rückweg hat sich dann ziemlich gezogen. Alles in allem war ich mit Pausen 13 Stunden unterwegs. Da oben liegen nur noch lauter grobe Steinblöcke herum, sodass man nur sehr langsam vorwärts kommt. Es war faszinierend, wie dann etwa auf Höhe des Miðmundahorn die Vegetationsinseln wieder zahlreicher wurden – was mir beim Hinaufgehen gar nicht aufgefallen war. Aber nach der totalen Steinwüste rund um den Gletscher, in der es höchstens ein paar ausgetrocknete Flechten gibt, schien mir jeder grüne Moospolster und jeder Löwenzahn eine Augenweide zu sein. Auch die Lóas stießen dort unten wieder ihre melancholischen Lockrufe aus.

Nach meiner Rückkehr hab ich mich dann – leider zum letztenmal – ins Bad begeben und war tatsächlich 3 Stunden im Pool. Ich bin auf der Matte gelegen, hab mich von oben durch die Sonne wärmen lassen, von unten durchs Poolwasser, hab den herrlichen Blick in die Landschaft genossen. Und ich glaub, ich bin vorübergehend sogar eingeschlafen dabei.

Mittlerweile sind Geirólfsnúpur und Sigluvíkurnúpur in warmes Abendlicht getaucht. Die Meeresbrandung, das Vogelzwitschern, der Geruch von frischem Gras – bald wird es damit vorbei sein...

Aber ein richtiges Bett und ein ordentliches Essen sind auch nicht zu verachten. Und irgendwie freu ich mich einfach auch schon wieder auf meine Freunde – ein Island-Abendessen mit Hildegard, einen Plausch mit Gabi, vielleicht einen Besuch bei Maria, eine Wanderung mit Stefanie, ein Abendessen mit Wolfgang, das Sommeryoga...

 

 

Sonntag, 24. 7. 05

Hrafnsfjörður.

 

Nun bin ich also wieder im Hrafnsfjörður – Ausgangs-, Depot- und Endpunkt meiner Reise. Ich hab das Zelt wieder hinter der Nothütte aufgeschlagen, die Sonne scheint durch die Zelttür herein, und die Hütte wird von ein paar jungen Mädchen bevölkert. Soeben ist ein Boot gekommen (leider nicht Sjóferðir), und es dürfte die Mädchen mitnehmen.

Jetzt, mit vollem Magen und nach vollendeter Tour, erscheint mir der heutige Tag ja ganz annehmbar. Wie ich unterwegs war, war das ein bissel anders. Ich war einfach noch total müde von der gestrigen Wanderung.

Also hab ich das GPS-Gerät angeworfen. Und nachdem ich von diesem Wegstück exakte Koordinaten hatte, hab ich immer gezählt: soundsoviele Höhenmeter noch bis zur Scharte, soundsoviele Meter/Kilometer bis zum nächsten Wegpunkt etc.

Wettermäßig gab zwar Sonnenschein. Gemeinerweise hatte ich aber streckenweise starken Gegenwind, was ebenfalls an den Kräften zehrte. Bisweilen war der Wind so heftig, dass man sich mit dem Körper dagegenstemmen musste. Ich hab allerdings schon schlimmeres hier erlebt. Trotzdem musste man an ausgesetzten Stellen aufpassen, wenn er so böenartig daherkam. Da hörst du zuerst ein Zischen in der Luft, und gleich darauf trifft dich die Wucht des Windes.

Die Gletscherflüsse & -bäche (Þaralátursós, Furufjarðarós + Nebenarme) waren heute deutlich wasserrreicher als beim letzenmal. Dass mir der Þaralátursós diesmal bis zur Mitte des Oberschenkels gegangen ist, hat mir als Watprofi ;-))) natürlich nichts ausgemacht. Aber der Furufjarðarós, der dort oben mit viel Gefälle in einem Schwall daherbraust, war mir nicht ganz wurscht. Da musste ich mich schon ordentlich dagegenstemmen.

Irgendwie scheint der junge Mann Schwierigkeiten bei der Bergung der Mädchen zu haben, weil er dauernd Anker wirft, dann wieder ein paar Meter fährt, dann wieder herumtut...

Versöhnlich hat mich gestimmt, dass bei der Ankunft im Hrafnsfjörður der Wind nachgelassen hat. Und dass sich der Gygjaspórshamar endlich bei Sonnenlicht gezeigt hat. Ich hoffe, die Fotos werden schön.

Ich bin froh, dass die Tour jetzt zu Ende ist. Die Strapazen und Entbehrungen sind nun wirklich genug. Und auch auf Abenteuer hab ich derzeit keinen Bock mehr. Stattdessen male ich mir aus, was ich in Ísafjörður und zu Hause alles tun werde.

Rückblickend war die Wanderung trotzdem herrlich. Die großartige Landschaft, das unmittelbare Erleben der Naturgewalten, das Erleben meiner selbst in schwierigen oder anstrengenden Situationen, dazwischen das umso mehr genossene Mit-der-Seele-baumeln.

Der junge Mann hat jetzt das Beiboot ausgeschöpft und ist damit an Land gerudert. Gut Ding braucht Weile.

Entweder ist die Sonne hinter dem Mánafell untergegangen. Oder es ist der Wolkenpfropfen über dem Mánafell, der ihr Licht verschluckt hat.

 

 

Montag, 25. 7. 05

Ísafjörður.

 

Ohne ein bissel Aufregung geht hier offenbar gar nix. Da hat doch Guðmundur von Vesturferðir zu mir gesagt, dass sich das Boot voraussichtlich um 2-4 Stunden verspäten wird wegen einer Kreuzfahrt in den Jökulfjorden, die sie machen (das wäre 12-14Uhr). Ich beobachte, wie sich die Sonne durch den Nebel kämpft, denke mir noch, die Kreuzfahrer werden sich freuen, und lasse mir genüsslich Zeit mit dem Zelt abbauen. Gegen ½ 11Uhr denk ich mir, ich werde vorsichtshalber einmal den Rucksack zur Bootsanlegestelle tragen. Und wie ich ums Eck biege, sehe ich, dass das Boot schon da ist und das Beiboot Richtung Land fährt, um dort 2 Wanderer abzuholen. Bis dorthin hatte ich aber noch ein gutes Stück Weges zurückzulegen. Ich beginne mit den Stöcken zu fuchteln, zu schreien und zu laufen. Prompt beginne ich zu hinken, weil mir beim Laufen die Hüfte immer noch weh tut. Das Beiboot nimmt die Leute auf und fährt wieder zurück. Ich sehe mich schon einsam im Fjord zurückgelassen. Da endlich bemerkt mich der Mann, der an Bord des Hauptbootes geblieben ist, und ruft mir zu, ich solle stehen bleiben, das Beiboot käme zu mir. Nicht auszudenken, was gewesen wäre, wenn ich mir noch mehr Zeit gelassen hätte...

Auf der Rückfahrt hab ich dann nochmals all die Fjorde und Berge vorbeiziehen gesehen, wo ich so viel Zeit verbracht habe. Den Einbúi hab ich bei Sonnenschein fotografiert. Und mir ist ganz intensiv bewusst geworden, dass mir Walter die beiden Sparbücher mit den Worten überreicht hat: „Das eine ist für Hornstrandir, das andere für Spitzbergen.“

Nun hat Geld zwar kein Mascherl. Aber irgendwie hat er mir damit die Hornstrandir-Tour geschenkt, oder gewidmet. Noch dazu, wo mich in Ísafjörður ohnehin so viel an ihn erinnert. Und eigentlich hat unsere Liebe hier in Island 1993 begonnen und 2003 geendet. Oder besser gesagt unsere gemeinsame Zeit. Denn die Liebe selbst ist nicht beendet.

Bin dann gleich nach der Ankunft in die Gamla Bakeri, vor der wir damals gesessen sind und wo ich immer noch das Foto von ihm habe. Und natürlich wohne ich – wie wir damals – im Hotel Edda.

Hab mir dann noch Jeans gekauft und ein paar tolle Bücher über Vögel, Pflanzen und die Landschaft hier. Und nun genieße ich es, in einem richtigen Zimmer mit richtigem Bett zu sein. Auch wenn das Zimmer schweineteuer ist (5400 Kronen = 75 Euro pro Nacht). Aber das musste einfach sein.

P.S.: Bei der Bootsfahrt hab ich in Ruhe jene Skál im Veiðileysufjörður studiert, über die man runterkommt, wenn man im Hesteyrarfjörður das Svínadal hochgeht. Diese Skál sollte kein Problem sein. Allerdings hätte ich dann noch den langen Hatscher am Fuß des Marðareyrarfjall gehabt, sodass meine Variante über die Kjaransvíkurskarð sicher die elegantere war.

 

Mit dem Boot zurück nach Ísafjörður

 

 

Dienstag, 26. 7. 05

Ísafjörður.

 

Im Moment herrscht hier eine Affenhitze. Der Himmel ist wolkenlos blau. Beim Vormittagsspaziergang durch die „Stadt“ begegnet mir plötzlich Lilla, die jüngere der beiden Frauen vom Reykjarfjörður. Sie kommt auf mich zu, freudestrahlend, stubst mich an: „Nice to see you.“ Und kurz darauf, bei der Touristeninformation, kommt Guðmundur auf mich zu und fragt mich, wie denn meine Tour gewesen sei. Das hat mich gleich viel beschwingter gemacht auf meiner weiteren Tour durch den Hafen.

Die Isländer sind schon ein seltsames Volk. Z.b. gestern das Mädchen im Jeansgeschäft. Anfangs gibt sie dir das Gefühl, als seist du ein Störenfried, ein Ärgernis. Gelangweilt reagiert sie auf dein Bemühen, dir selbst passende Jeans zu finden. Doch wie ich zum 2.x reinkomme und frage, ob ich eine tax free Bestätigung haben kann, ist sie total freundlich und bemüht und entschuldigt sich, dass sie sich damit nicht gut auskennt. Sie hat's aber hingekriegt. Tax free ist hier, anders als in Norwegen, offenbar wirklich kein Problem. In keinem Geschäft.

Hab dann den Großteil des Tages mit Lesen verbracht – das Vogelbuch studiert, und jenes über die Westfjorde. Denn das sind Dinge, die zu Hause ohnehin zu kurz kommen. Jetzt werde ich noch Dörrfisch und Lachs einkaufen und alles für die Abreise morgen vorbereiten.

 

 

Mittwoch, 27. 7. 05

Wien.

 

Ich hab mich riesig gefreut, als ich in Wien ankam und plötzlich Hildegard am Flughafen stand, mit einer Schüssel Obst und Gemüse in der Hand.